Die Verstrickungen des Dänenprinzen

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Andrea Breths "Hamlet“-Inszenierung am Burgtheater: Trotz großartiger Schauspieler vermag die Produktion die Erwartungen nicht zu erfüllen.

Das Drama um den Dänenprinzen, an dem Shakespeare sein Leben lang gearbeitet hat und dessen heutige Gestalt vermutlich von 1602 stammt, ist nicht nur unbestritten das berühmteste Theaterstück der Weltliteratur, es ist auch eines seiner längsten. Es vereint in den fast 4000 Versen gleich mehrere Stücke: Familien- und Liebesdrama, Staatstragödie, Kriminalgeschichte und nicht zuletzt auch eine rätselhafte Tragödie der Innerlichkeit, weswegen es schon immer zu verschiedenen Interpretationen herausgefordert hat.

Andrea Breth, die bekannt dafür ist, als akribische Leserin auch entlegensten Texten eine bestürzende Gegenwärtigkeit abzulauschen und der Welt mit dem Theater einen Spiegel vorzuhalten, hat sich bei ihrer ersten "Hamlet“-Inszenierung zu einer integralen Deutung entschlossen. Fast gänzlich ohne merkbare Striche dauert das Stück, das ohnehin schon eine recht schleppende Handlung hat, eine Abfolge von Aufschüben darstellt, an diesem Abend sechs Stunden, von 18 Uhr bis nach Mitternacht.

Der Ertrag dieser tour de force ist gemischt. Was man am schmerzlichsten vermisst, ist der Zugriff von Breth, das heißt die Erforschung des Textes, seine Interpretation, die durch stärkere Akzentuierungen, Gewichtung durch Kürzungen fassbar geworden wäre. Zu ehrfürchtig versteckt sich Breth hinter Shakespeares gedankenvollem Text in der klassischen Übersetzung von A. W. Schlegel, so dass alles alles bedeuten kann, alles aber auch nichts bezeichnet. Immerhin spielen wunderbare Schauspieler, und es gelingen ihr einige schöne Szenen, etwa die Auftritte der Schauspieler (mit einem großartigen Martin Schwab). Oder Hamlets Begegnung mit der Mutter (Andrea Clausen) im Badezimmer, in der er den hinter dem Vorhang versteckt lauschenden Polonius ersticht, den Udo Samel in weißem Seidenanzug unnachahmlich spielt, als liebenswürdigen Diener des Hofes, der sich aber jederzeit in einen rasenden Terrier verwandeln kann, sollte es die Staatsräson notwendig erscheinen lassen. Auch Roland Koch als nicht unsympathischer Claudius mehr Lebemann als Brudermörder oder Hans-Michael Rehberg in der Doppelrolle von Hamlets Vater und Totengräber wie auch Markus Meyer als kreuzbraver Horatio vermögen zu überzeugen. Eher befremdlich wirkt Breths Idee, Ophelia, die verschmähte Geliebte Hamlets, doppelt zu besetzen. Als sie durch den Tod des Vaters den Verstand verliert, wird sie mit schlohweißem Haar durch die 77-jährige Elisabeth Orth gespielt.

Stringentes Bühnenbild

Die Zentralgestalt bleibt Hamlet, den August Diehl facettenreich verkörpert. Ganz in schwarz mit strähnigem, wirrem Haar, apathisch vor sich hinmurmelnd, in einem Plastiksackerl kramend, kommt er einem von Anfang an vor wie ein an einer korrupten, mörderischen Welt verrückt Gewordener. Zunächst noch geht er zielstrebig ans Werk, den Mord an seinem Vater zu rächen. Da gibt er sich ganz als modernes Individuum, das Autorität nicht einfach hinzunehmen bereit ist, sondern reflektierend sich Unrecht entgegensetzt und stets bemüht ist, das eigene Tun aus moralischen Prinzipien zu legitimieren. Das aber ist bald das Problem, denn er hat ein Gewissen, so dass er zögert, sich zunehmend verfranst und am Konflikt zwischen Wissen und Tun schließlich zerbrechen muss. Denn er ist nicht fähig, das von ihm als richtig Erkannte in die Tat umzusetzen. Damit er das von ihm politisch und moralisch Gedachte realisieren kann, muss er sich von der Realität absondern und flüchtet in den vorgetäuschten Wahnsinn.

Allein die Bühne von Martin Zehetgruber lässt Deutung zu. Sein Dänemark ist hier ein umgekipptes hölzernes Riesenrad, das sich schier unablässig dreht und in die verschiedenen Räume des Palastes führt. Die Nabe dieses Rads ist eine Art Wintergarten, mit dürren Sträuchern, eine tote Landschaft, in der es unentwegt nieselt. Die dieses Zentrum umgebenden Räume, durch die Hamlet gedankenvoll wandelt, sind düster, mit der braunroten Täfelung, in die die Türen fast unsichtbar eingelassen sind, erwecken sie den Eindruck der Unausweichlichkeit.

Hamlet

Burgtheater

10., 13., 26., 27. Oktober

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