Die vielen Gesichter der Bedrängung

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„Trilogie der Gewalt“ bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs: Felix Mitterers Stück „1809 – Mein bestes Jahr“ wurde uraufgeführt. Auch dem „Briefbomber“ und der US-Soldatin Lynndie England wurde ein Teil gewidmet, ergänzt um Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“.

Ein Romantisch-komisches Original-Zauberspiel mit Gesang in zwei Aufzügen von Ferdinand Raimund schützt nicht vor Entblößung. Wir sind nur daran gewöhnt, die Bilder der Gewalt in frontalem Realismus frei Haus geliefert zu bekommen.

Die Tiroler Volksschaupiele Telfs beenden am Sonntag ihre erste Saison ohne Ruth Drexel. Die Frau, die so viel mehr war als Mama Resi, die von Bertolt Brechts Berliner Ensemble aus die Bühnen eroberte, zweimal als Intendantin das Münchner Volkstheater hochzog, die von Anfang an das Tiroler Festival begleitete und entscheidend mitprägte, hatte im Oktober 2008, vier Monate vor ihrem Tod, die Leitung der Volksschauspiele zurückgelegt. Ihr Nachfolger wurde Markus Völlenklee, auch ein Mann der ersten Stunde. Mit seinen Mitstreitern – vor allem Autor Felix Mitterer, Regisseur und Schauspieler Klaus Rohrmoser und Bühnenbildner Karl-Heinz Steck – stellte er diesen Sommer drei Einpersonenstücke in Beziehung zum Tiroler Gedenkjahr 2009–1809 auf die Bühne. Ihnen gemeinsam ist die Suche nach den gesellschaftlichen Mechanismen und privaten Dispositionen, die exzessive Gewalttaten auslösen.

Ein klassisches Mitterer-Stück

Uraufgeführt wurde Felix Mitterers „1809 – Mein bestes Jahr“, ein Stück Wirtshaus- bzw. Stubentheater, wie es Ekkehard Schönwiese wiederbelebte. Der Telfer Metzgersohn Klaus Dietrich hat 1809 auf seine Weise Feinde vertrieben, und wenn auf den Raubzügen ein paar Silberleuchter oder gar Pferde seiner Spur folgten, war’s nur recht. Es wäre kein Mitterer-Stück, sähen wir nicht ins Herz dieses wilden Hunds, der das Stiefkind des Vaters war und dem niemand die überlebensgroße Leidenschaft zum Zuschlagen und Retten gedankt hat. Markus Plattner gab in Christian Himmelbauers Regie dem Klaus seine ganze Darstellungskraft.

Auch dem Briefbomben-Attentäter Franz Fuchs schaut Mitterer hinter die Fassade. Selbst hier funktionierte der 1809-Bezug, denn unter Fuchs’ „Kampftrupps“ befand sich auch Andreas Hofer. Für Pepi Pittl, der den Text eindrucksvoll meistert, wurde das Stück adaptiert. Dritte in der „Trilogie der Gewalt“ war Lynndie England – verkörpert von Maria Fliri in Barbara Herolds Text und Regie, –, jene junge amerikanische Soldatin, die im Irak Häftlinge folterte; die Fotos gingen um die Welt.

Und dann eben Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ mitten auf einer ansteigenden Waldlichtung, zauberhaft idyllisch, mit Guntram Brattia (Alpenkönig) und Markus Völlenklee in den Titelrollen, in Szene gesetzt von Thomas Blubacher: Biedermeierliches Beispiel dafür, wie Menschen Menschen quälen, Tag für Tag, im ganz normalen Alltag. Die Bedrängung hat viele Gesichter.

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