Die vielen Gesichter der islamischen Welt

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Das Festival "Salam.Orient“ fand heuer zum zehnten Mal statt. Gegründet wurde es als Antwort | auf pauschale Islamkritik im Gefolge von 9/11, bis heute hinterfragt es gewohnte Sichtweisen.

Auf der Bühne ein junger Rapper, das Publikum drückt sich nach vorne, möchte ihn am liebsten anfassen, jubelt und applaudiert. Der Mann singt arabisch, die jungen Leute antworten arabisch, eine junge Frau hat sich in eine tunesische Fahne drapiert. Ort des Events: der legendäre Ost-Klub in Wien; der Mann auf der Bühne: niemand anderer als El Général, die Stimme der tunesischen Revolution, ein junger Pharmazie-Student, den die New York Times zu den hundert wichtigsten Personen des Jahres 2011 zählt. Nach Wien kam El Général wegen des Festivals "Salam Orient“, das unter der Regie von Norbert Ehrlich heuer sein zehnjähriges Jubiläum feierte - mit insgesamt 26 Konzerten, Vorträgen und Diskussionen.

Das Konzept zum Festival entstand als Reaktion auf den 11. September 2001: Damals wurde plötzlich "der Islam“ zum Feindbild Nr. 1. Dem wollte Norbert Ehrlich entgegenwirken und brachte den Orient nach Wien. Der Unterschied zwischen Islam und Islamisten soll bei "Salam Orient“ hörbar werden, denn: "Die wenigsten Orientalen sind Islamisten - ebenso wie die wenigsten Österreicher Neonazis sind“, so Ehrlich.

Fusion-Musik

Zwischen dem Maghreb und Südostasien sucht er die Stars des Festivals. Darunter sind junge Leute, wie El Général oder die marokkanisch-französische Sängerin Hindi Zahra oder Dub-Collossus, eine Reggae-Band aus den Tanzhallen von Addis Abeba. Fusion-Musik war heuer wie jedes Jahr zu hören, etwa die Sängerin Nawal, die als erste Frau in ihrer Heimat, den Komoren-Inseln im Indischen Ozean, mit eigener Band öffentlich auftrat, mit Liedern, die auf französische Chansons genauso wie auf die Sufi-Lieder ihrer Heimat anspielten. Und natürlich traten auch Österreicherinnen und Österreicher auf: etwa Aron Saltiel, das Ensemble des Tanz-Projekts "Von Bombay nach Kairo“ oder Harri Stojka usw.

Einer der Höhepunkte heuer: das Konzert der algerisch-französischen Sängerin Souad Massi, deren Bekanntheit auch die Veranstalter überraschte. Der Große Saal im Konzerthaus war ausverkauft. Souad Massi, die nach ihren ersten Erfolgen in Algerien ihre Stelle beim Vermessungsamt ihrer Heimatstadt verlor, weil Musik kein Beruf für eine Frau ist, wie es hieß, verbindet virtuos traditionelle Rhythmen und Melodien aus Algerien mit Pop und Jazz. "Es bedarf nur eines Minimums an Intelligenz, um die Tradition mit der modernen Welt zu verbinden“, sagt die Singer-Songwriterin. Tradition und Zeitgenossenschaft zeichnete auch die Kunst von Mohammed Reza Shajarian aus, einem Großmeister der klassischen persischen Musik. Und Klassik spielte auch der türkische Ney-Virtuose Kudsi Erguner, der zusammen mit Hakan Gungor auf der Kanun (eine Art Zither) und dem Perkussionisten Hamdi Akatay die Besucher und Besucherinnen des Konzerthauses einen Abend lang in die Welt der klassischen ottomanischen Musik und der Sufi-Tradition entführte. Kopftuchtragende junge Türkinnen saßen neben älteren Herrschaften aus Wien, und alle klatschten am Ende begeistert. Auch das ist Integration - und vielleicht sollte das Festival "Salam Orient“ irgendwann dafür einen Preis bekommen.

Beindruckend war der Sufi-Schwerpunkt bei Salam Orient: Sufis aus dem Sudan gab’s zu hören, eine begeisternde Qawwali-Gruppe aus Nordindien, auch die exil-iranische Gruppe Niyaz und Azam Ali, die Pop mit der Mystik-Tradition des iranischen Islam verbinden. Der Sufi-Schwerpunkt darf wohl als ein politisches Statement verstanden werden. Denn die Sufis, die den Weg der Mystik gehen, für die Heiligenverehrung, Musik und ekstatischer Tanz genauso Ausdruck ihrer Frömmigkeit sind wie das Pflichtgebet und das Ramadan-Fasten, sind weltweit gesehen die wichtigste Strömung im Islam. Trotzdem werden sie von vielen westlichen Medien in denselben Topf wie ihre Gegner, die Wahhabiten und andere Islamisten, gesteckt. Dabei zählen vor allem Sufis und Sufi-Heiligtümer zu den Hauptangriffszielen von Selbstmordattentätern etwa in Pakistan.

Jenin Freedom Theatre

Als Rahmenprogramm von "Salam Orient“ konnte man sich in den Vorträgen des bekannten Islamwissenschaftlers Udo Steinbach oder bei dem türkisch-kurdischen Journalisten Robert Koptas genauer über die politischen Verhältnisse informieren. Um Politik und ihre Folgen ging es dem Jenin Freedom Theater, einem arabischen Jugendtheater aus dem Jenin Refugee Camp in der Westbank. Die 1998 gegründete Initiative ermöglichte bisher mehreren tausend Jugendlichen, aus der Lethargie des ganz normalen Wahnsinns im Flüchtlingscamp auszusteigen und ihre Begabungen zu entfalten. Das Jenin Freedom Theater gastierte heuer zum zweiten Mal in Wien - ohne seinen Leiter, Juliano Mer-Chamis. Er war im April 2011 von einem maskierten arabischen Schützen ermordet worden. Und im Juni 2011 umstellten dann schwerbewaffnete maskierte israelische Soldaten in den frühen Morgenstunden das Theater und verhafteten zwei palästinensische Mitglieder der Leitung. Dass "Salam Orient“ sich auch hier vor politischen Frage nicht scheut und dieses international renommierte Theater nach Wien bringt, zeichnet das Festival aus. Man darf sich aufs nächste Jahr schon freuen.

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