Die Wahrheit der Körper

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"ImPulsTanz" macht Wien vom 10. Juli bis 10. August auch diesen Sommer zum Mekka des Tanztheaters.

In starrer Würde steht sie da, sie sieht asketisch aus in ihrem einfachen, dunklen Kleid in diesem kargen Raum, wo nichts als ein Plattenspieler steht und ein Stuhl auf der Bühne. Zur ätherischen Stimme von Joan Baez schwingt eine der faszinierend merkwürdigsten Bühnenpersönlichkeiten unserer Zeit leicht aus: die magere, spröde, bis in die Fingerspitzen musikalische belgische Choreographin Anne Teresa De Keersmaker. Sie fällt in tiefe Pliés, ein schütterer Tanz, der ihrem Körper Raum lässt, sich zum Sinnbild ihrer ausgestellten Zerrissenheit wandelt. "Once" betitelt sich der Protest einer Tänzerin gegen einen (damals) vorhersehbaren Irakkrieg. Die Produktion aus dem Jahr 2002 wird eines der aufsehenerregendsten Ereignisse im Festivalprogramm von "ImPuls Tanz 03" sein, das Wien einen heißen Sommer lang zum "Mekka der Bewegungskunst" machen wird.

Eröffnet wird das bis zum 10. August dauernde Festival im Wiener Volkstheater am 10. Juli mit der aktuellen Produktion der renommierten kanadischen Companie "La La La Human Steps". "Amelia", die traditionelle Tanzfigur, leiht einer unerhörten Tanzführung ihren Namen, bei der klassische Spitzentechnik in eiskaltem, fokussiertem Licht ins Ungeheure verzerrt und diese Verfremdung zum künstlerischen Programm erhoben wird: Als wäre die Actionspielfigur Lara Croft, oder deren Darstellerin Angelina Jolie, plötzlich ins Ballett geraten. Auf stählernen Spitzenschuhen sausen neun Tänzer wie Geschosse durch den Raum, um zu straucheln in strudelnden Pirouetten, um innezuhalten bei der kleinsten Geste: dem schnellen Wischen des Handrückens über den feuchten Mund. Zweifellos ein Highlight zum Auftakt, in seiner Rabiatheit genial.

Höhepunkte zuhauf: Da will Wim Vandekeybus aus Brüssel mit "Blush", in Kooperation mit dem Vokalisten David Eugene Edwards und seinen "Woven Hands" - live in concert -, in einem fiebrigen Crescendo die Sinne aufrütteln, eine Blutaufwallung im Parkett provozieren. Da wird sich der junge Shooting Star des zeitgenössischen deutschen Balletts, Christoph Winkler, in der Experimentalreihe "[8: tension]" mit der Performance "Lebenslang" zwei fragilen Gebilden langsam annähern: den exquisiten Ballerinen Margaret Illman und Bettina Thiel. - Ein Stück wie eine archäologische Recherche, die allmählich in die Tiefe vordringt, um so einen überzeugenden Dialog von Ballett und zeitgenössischem Tanz zu erschaffen.

Zur Uraufführung gelangt der dritte und letzte Teil von "12-seny-6", des großangelegten Tanzprojektes des italienisch-stämmigen österreichischen Choreographen Elio Gervasi und seines charismatischen Tänzer-Kollektivs. Der in Orleans lebende Ungar Josef Nadj steuert sein düsteres Bildertheater bei. Weiters finden sich der Tanzethiker Boris Charmatz und seine "Association Edna" aus Paris und einige klingende Namen mehr im vielschichtigen Festivalprogramm.

Ja, da wird man einen Monat lang auf brüchig gewordene Wahrheiten stoßen, auf versehrte Körper, die ihren alten, unheilbaren Schmerz herausbrüllen. Aber auch auf sanfte, flüchtige Gesten, auf die allgegenwärtige Suche nach der Substanz des Tanzes, auf grundloses Jauchzen und immer wieder auf unerwartete Schönheit.

Die Autorin ist freie Journalistin in Wien und Rom.

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