Die Wahrheit im Bruchteil der Sekunde

Werbung
Werbung
Werbung

Er ist der unbestechliche Chronist des Wesentlichen und vermeintlich Unwesentlichen, das sich dann im Nachhinein oft als das überhaupt Wesentliche herausstellt. Picasso und Giacometti festzuhalten, war ihm jede Mühe wert. Aber der Schemel einer Klofrau in einem Herrenpissoir nicht weniger. andré heller über franz hubmann

Die Furche: André Heller hat Sie einmal beschrieben als "Chronisten des Wesentlichen". Was ist für Sie dieses Wesentliche?

Franz Hubmann: Das Wesentliche sind die Menschen, die ich fotografiere. Es geht ja hauptsächlich um Menschen. Da kommt es darauf an, sie zu erfassen, sie so zu haben, wie ich glaube, dass sie sind. Das ist Gefühlssache - ein gewisses Gespür, wenn man miteinander redet.

Die Furche: Ist die Sicht des Fotografen Hubmann auf Menschen und Begebenheiten eine andere als die des Menschen Hubmann?

Hubmann: Ich unterscheide da nicht. Ich schaue die Menschen immer als Menschen an. Entweder sie sagen mir etwas und sind interessant, oder ich gehe darüber hinweg, weil sie nichtssagend sind, das gibt es ja auch. Ich suche nicht nach Motiven, sie ergeben sich. Das ist auch der Grund, warum ich die Vorstadt immer als so ergiebig empfunden habe: Die Menschen dort sind es nicht gewöhnt, etwas vorzuspielen wie in der höheren Gesellschaft, wo man ein bestimmtes Gesicht aufsetzt oder bemüht ist, sich so zu geben, wie man vom anderen gesehen werden will.

Die Furche: Sie haben die Frau am Brunnenmarkt (siehe rechts) einmal als eines Ihrer Lieblingsbilder bezeichnet. Warum?

Hubmann: Weil es das Schlüsselbild war. Es war der Beginn der Zeitschrift magnum, eine andere Art der Fotografie, als sie damals üblich war. Das war die Welt, das waren ungeschminkte Menschen. Ich will ja keine Fassaden, keine vorgetäuschten Dinge. Ich will hinter die Fassade schauen, die Menschen so haben, wie ich glaube, dass sie sind.

Die Furche: Aber ist es nicht ohnehin unmöglich, mit einem Foto die Wirklichkeit wiederzugeben? Allein durch die Wahl des Ausschnittes, durch das Weglassen von Farbe in der Schwarzweiß-Fotografie, wird doch schon die Realität verfälscht.

Hubmann: Es wird behauptet, dass alles Lüge sei. Was ist schon Wahrheit? Der eine Moment von vielen, den man herausholt - ist das die volle Wahrheit? Diese hundertstel oder tausendstel Sekunde, die auf einem Foto festgehalten wird, zeigt die das Wesen eines Menschen? Das ist ja das Bestreben. Wenn das gelingt, ist das Bild auch wahr.

Die Furche: Glauben Sie angesichts der Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung überhaupt noch, was Sie auf Zeitungsfotos sehen?

Hubmann: Ich weiß nicht, wie ich werten soll, was ich sehe. Ist es verändert? Ich glaube, es ist meistens nicht verändert.

Die Furche: Es gibt den Vorwurf an die Pressefotografie, dass sie zunehmend voyeuristischer wird.

Hubmann: Sie ist nicht anders, als sie jemals war. Ich habe ja auch versucht, Dinge herauszuholen, die spektakulär oder aufregend sind oder etwas anderes oder mehr zeigen.

Die Furche: Darf Fotografie denn voyeuristisch sein, wenn sie dabei hehre Ziele verfolgt, etwa die Gräuel des Krieges aufzuzeigen?

Hubmann: Eigentlich schon, ja. Warum soll man diese Schrecken des Krieges, des Tötens nicht dem zeigen, der nicht dabei ist. Darum geht es ja bei Fotos: Jemandem etwas mit einem Bild nahe bringen, was er selbst nicht erlebt hat. Es kommt auf die Form an, in der man das macht. Es kann sehr elegant und gemäßigt sein oder sehr brutal, was ich ablehne. Das ist das, was jeder Einzelne haben muss: eine innere Schranke, etwas nicht zu machen, etwas nicht zu zeigen. Der ehemalige magnum-Herausgeber Karl Pawek hat dagegen gemeint, man könne alles fotografieren. Bis zu einem gewissen Punkt hatte er ja Recht, theoretisch ist alles machbar. Aber es ist eine Frage des Standpunktes, ob man das goutiert oder nicht.

Die Furche: Wo sind denn Ihre persönlichen Grenzen?

Hubmann: Ich huldige ja nicht dem Standpunkt, dass man alles fotografieren könne. Etwas, das degoutant ist oder voyeuristisch, fotografiere ich nicht. Und degoutant ist für mich, wenn die auf der Bühne ihre Notdurft verrichten oder kopulieren. Ich schaue bei solchen Sachen ja normalerweise auch nicht zu. Warum soll das mit der Kamera auf einmal anders sein?

Die Furche: Wird Fotografie in Österreich als eigene Kunstform gebührend wahrgenommen?

Hubmann: Nein, bisher absolut nicht. Jetzt langsam kommt es. Seit mehr als 20 Jahren gibt es zum Beispiel in Paris den Monat der Fotografie, diesmal machen auch Wien und Berlin mit zahlreichen Foto-Ausstellungen mit. Aber Österreich ist da nur nebenbei beteiligt. Von sich aus wäre das nicht geschehen. Die Österreicher sind ein unoptisches Volk. Sie haben ja einen Schiele und einen Klimt auch nicht erkannt. Das ist sehr verzopft in diesem Land und sehr hinten nach. Die Fotografie hat hier nie etwas gegolten. Die Amerikaner haben schon lang, im 19. Jahrhundert schon, Menschen bei der Arbeit fotografiert. Das ist hier keinem eingefallen. Wer wird schon einen bei der Arbeit fotografieren, was hat das für einen Sinn? Bei uns ist man immer zum Fotografen gegangen, um sich abkonterfeien zu lassen, man hat sich schön in der alten Pose hingestellt. Alles andere ist erst viel später gekommen.

Die Furche: Wie viel fotografieren Sie heute noch?

Hubmann: Nicht mehr so viel, weil ich mit 90 Jahren nicht mehr so viel rennen kann. Das ärgert mich natürlich, weil ich immer gewohnt war, flink wie ein Wiesel und immer dabei zu sein. Gut fotografieren ist sehr viel "sich errennen", dabei sein. Aber es ist dann auch wiederum so: Wenn ich ein Bild sehe für mich, dann kann ich plötzlich alles. Da gehe ich in die Knie und auf die Knie, das spüre ich alles nicht, weil die Jagd nach dem Bild alles übertüncht. Da sind alle Zustände weg. Das ist der Antrieb, etwas aus einer bestimmten Position zu sehen und zu fotografieren.

Die Furche: Sie haben bisher an die 80 Bücher herausgebracht. Gibt es noch ein weiteres Projekt, das Sie sich vorgenommen haben?

Hubmann: Eines ...?!

Das Gespräch führten Robert Dengscherz und Claudia Feiertag.

"Franz Hubmann - DerChronist des Wesentlichen" heißt die Retrospektive zum 90. Geburtstag des Doyens der österreichischen Pressefotografie, die in der Galerie WestLicht/Leica Galerie

Wien (7, Westbahnstraße 40) noch bis 7. November 2004 zu sehen ist. Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 14-19 Uhr, Do 14-21 Uhr, Sa, So 11-19 Uhr, Mo geschlossen. Am 6.11. geschlossen.

Die Fotos sind aus dem Bildband:

Franz Hubmann - Das photographische Werk. Brandstätter Verlag, Wien 1999, 419 Abb. in Duotone, 319 Seiten, gebunden, e 49,90

Jäger des Augenblicks

"Du bist ein Zeitgenosse der Klassiker der modernen Kunst", habe Franz Hubmann sich einmal gedacht. "Kaum jemals gab es so viele echte Größen wie jetzt. Du müsstest sie alle vor die Kamera bekommen!" Diesem Gedanken von einst hat der Fotograf zu entsprechen versucht: In seinem Archiv finden sich Bilder von Pablo Picasso, Marc Chagall und Alfred Kubin ebenso wie von Andy Warhol und Friedensreich Hundertwasser, Hermann Nitsch und unzähligen anderen Künstlern. Genauso wichtig waren ihm aber immer die Bewohner der

Vorstadt, Liebende in Paris, Badende am Wiener

Donaukanal und die Literaten im Café Hawelka.

Als Zwölfjähriger entdeckte der am 2. Oktober 1914 in Niederösterreich geborene Franz Hubmann seine Liebe zur Fotografie. Zum Beruf machte er sie aber erst, nachdem er als Textilingenieur in einer Hutfabrik gearbeitet, als Soldat an der Front gekämpft und nach dem Krieg die Graphische Lehr und Versuchsanstalt in Wien besucht hatte. Bekannt wurde er als Fotoredakteur der Zeitschrift "magnum", die erstmals Fotografie nicht als bloße Illustration des Textes einsetzte, sondern dem Bild eine eigenständige Bedeutung zuerkannte. Seit diese "Zeitschrift für das moderne Leben" im Jahr 1966 eingestellt wurde, brachte er an die 80 Bücher heraus, thematisierte die

Fotografie in zahlreichen Fernsehproduktionen und

erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Österreichischen Staatspreis für künstlerische Photographie.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung