Die Waltons von Europa

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Um die finanzielle Situation Griechenlands muss seit 2010 keine Geheimniskrämerei mehr betrieben werden. Umso bedauerlicher ist es, dass man dieser Staats- und Währungskrise seit nunmehr sieben Jahren mit den Rezepten eines Kleinkrämers beizukommen versucht. Ein schönes Beispiel für eine solche Strategie bietet der Greißler der US-Fernsehserie "Die Waltons".

Dieser Mann spart in der Krise der 20er-Jahre eisern an sich selbst und labt sich nur noch von Rosinen, er heizt nicht mehr und trinkt keinen Wein und leistet sich nicht einmal Medikamente. Zuhöchst zündet er das Licht an, wenn er Abends die Bibel liest und sich mit den Exodus-Geschichten vom hungernden Volk Israel in der Wüste aufbaut, in dem Sinne: "Die haben es ja auch überlebt."

Das Problem ist, dass die Geschichten von der Darbnis, die im biblischen Vorbild zwischendrin Manna und am Ende das gelobte Land bringen, nicht leicht auf die echte Welt anwendbar sind.

So wie die Moral, die den Hungernden zu guter Letzt mit einer reichen Tafel belohnen, überhaupt keine Relevanz hat, wenn es um die globalen und europäischen Finanzmärkte geht. Ja, diese in unserem Denken prägenden Mechanismen des Sparens und Gewinnens machen selbst nur dann einen Sinn, wenn man einer paläolithischen Form des wirtschaftlichen Denkens huldigt.

Dass nämlich unreflektiertes und nicht zielgerichtetes Sparen positive Effekte habe. Die Strategie ist vielmehr so effizient wie ihr Negativ: das Ausgeben mit der Gießkanne. Also gar nicht. Im Gegenteil. Diese Form des Sparens bringt am Ende keinen Wohlstand, sondern vertieft die Misere. Es verringert die Schulden nicht, sondern macht sie nur größer.

Schicksal in Zahlen

Und tatsächlich ist das Ergebnis sehr schnell an Zahlen ablesbar. Mittlerweile sind mehr als 245 Milliarden Euro nach Athen geflossen - Steuergeld und Mittel aus Kreditlinien der EZB. Die Staatsschulden sind von 120 Prozent des BIP auf 189 Prozent des BIP gestiegen. Warum? Der Großteil dieser Milliarden floss weiter in die Safes der großen Gläubiger Athens, der Großbanken Europas. In Athen selbst gibt es weder Geld noch Hoffnung. Die Realwirtschaft ist um 25 geschrumpft, die Staatsleistungen bewegen sich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.

Das Frappierende daran ist, dass sieben Jahre nach Beginn des griechischen Experiments die Leiter des Versuchs um keinen Deut klüger geworden sind, sondern - und man muss das so sagen - dümmer. Den kontraproduktiven Sparauflagen von gestern werden nun, nach der Einigung in dieser Woche, weitere kontraproduktive Sparauflagen folgen.

Während Politiker allerorten in Europa über Donald Trumps Defekte und seine chaotische Politik scherzen oder sich entsetzen, entpuppt sich in Griechenland ein europäisches politisches Chaos, das jenes in Washington noch übersteigt. Es wird am Ende zu den Kräften des Zerfalls mehr beitragen als der Brexit oder Trump. Und es sind paradoxerweise die "Retter" der europäischen Idee in Brüssel und Berlin, welche ihre Existenz am meisten gefährden.

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