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Das ist ein Buch für den somnambulen Leser. Der Rationalist, der Analytiker, der Systemdenker, sie alle fliegen raus. Peter Waterhouse hat keinen Begriff davon, wie es um unsere Welt bestellt ist, nie hat er die Wirklichkeit fest im Griff. Bevor er einen Satz hinschreibt, der einer Aussage gleichkommt, fallen ihm hundert, ach was, tausend Fragen ein. Es gibt keine Theorie, der er Vertrauen schenkt, kein Denkmodell, das er zu seinem eigenen machen würde, kein System, in dem er sich souverän bewegt, das wäre eine risikofreie Sache. An jeder Ecke ist doch ein Schutzpolster montiert, sodass man sich nicht verletzen kann. Waterhouse weht der kühle Wind der theoretischen Heimatlosigkeit um die Ohren. Es gibt niemanden, auf den er sich verlassen kann. Und er selbst weiß auch nicht, was der Fall ist, und erst recht nicht, wie es weitergeht.

Nie fasst Waterhouse das große Ganze ins Auge, das erschiene ihm anmaßend und vollkommen unmöglich. Er verzettelt sich, er lässt sich treiben, fasst einen Gedanken, der wuchert und wächst und dann einer Beobachtung, einer Frage, einem neuen Gedanken Platz macht. Mit ihm lässt sich keine feste Burg errichten, die einem Schutz und Zuflucht vor der wild tosenden Wirklichkeit bietet. Die Literatur von Waterhouse tost wild, weil sie auf keinem festen Grund steht. "Vielleicht" heißt das Waterhouse'sche Haupt-Wort, Fragezeichen sind die bevorzugte Interpunktion.

Immer wieder der erste Satz

Waterhouse beißt sich fest an einer Kleinigkeit, die einem so bedeutungslos vorkommt, dass sie gewöhnlich ignoriert wird. Im Detail, findet er, steckt die ganze Welt. Die vertrackte Wirklichkeit, mit der wir uns so abmühen, findet er geborgen im Beiläufigen. Er liest Dickens und Hamlet, schlägt nach bei Chesterton, und es kommt vor, dass er über den ersten Satz nicht hinauskommt oder sich vergrübelt an einem Satz, einem Absatz. Dann tritt er auf der Stelle, müht sich ab, quält sich, kommt an kein Ende mit seinen Überlegungen, weil sie nicht zielgerichtet sind. "Immer wieder den ersten Satz", schreibt er über seine Lektüre eines Dickens-Romans, "und dann vergaß ich weiterzulesen, las eigentlich nirgendwohin."

Was steht geschrieben in einem Buch, was verrät es, was verschweigt es? Wie geht es mit all dem Unsichtbaren um, das im Raum steht, befindet es sich zwischen den Zeilen? Welches Sensorium ist vonnöten, um es ausfindig zu machen?

Waterhouse tötet Aufregungen ab, redet Gefühle klein. Es gibt keine dramatischen Entwicklungen, nur ein langes, breites, weites Feld, auf dem sich Reflexion und Beobachtung tummeln. Gegensätze, Kontraste, Widersprüche werden verjagt. Sie haben keinen Platz in einem Buch, das der Strenge der Logik eine Abfuhr erteilt.

Sich treiben lassen

In Ansätzen erzählt Waterhouse. Dann taucht etwa ein Richter auf, der über seinen Akten sitzt, sich aufhält im "unerzählerischen Raum", in der "Traumlosigkeit". Dann und wann reißt er sich los und blickt auf die vier Bilder, die den Raum ausstatten. "Die Ereignisse in den Bildern waren unvergleichbar jenen in den Gesetzen formulierten und in den Zeugenaussagen und in den Worten der Angeklagten und Staatsanwälte beschriebenen Ereignisse." Der Richter schaut auf und schon findet die Abschweifung in das Reich der Kunst statt, wo sich einer treiben lässt in interesselosem Wohlgefallen.

Der Honigverkäufer im Palastgarten und das Auditorium Maximum Von Peter Waterhouse. Jung und Jung 2010. 221 S., geb., ? 22,00

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