Die Welt kann erzählen

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Peter Waterhouse, Schriftsteller und Übersetzer, erhält am 18. Juni im Rahmen der Lyriktage in Neuberg an der Mürz den Ernst-Jandl-Preis für Lyrik 2011. Eine Würdigung seiner Poesie.

Das Lob der Poesie eint Peter Waterhouse und Ernst Jandl. Während Jandls "fortwährende Realisation von Freiheit“ in der Dichtung jedoch auch gegen die Poesie und deren Vermögen angeht, vermutet der diesjährige Träger des Ernst-Jandl-Preises Peter Waterhouse in seiner Poetik, dass der "poetische Satz“ vielleicht "sagt, was ich nicht weiß“.

Ernst Jandl nahm, wie kaum ein anderer Dichter, Vorgänge und Tatsachen aus der realen Wirklichkeit, sein eigenes Altern und Erleben, in seine Gedichte hinein, häufig mit einer pragmatischen, schonungslosen Nüchternheit, die zumeist als dem Schreiben von Gedichten entgegenstehend gesehen worden ist. Sie waren ihm Schreibanlass und Movens der Sprachgestaltung.

Peter Waterhouse’ Gedichte und poetologische Schriften "hantieren“ ebenso mit der Realität. Anders als Jandl, für den häufig die gehörte, aufgelesene und in das Gedicht gepasste Sprache diesen Realitätsbezug ermöglichte, scheint Waterhouse den Dingen der Welt aus ihnen selbst heraus poetische Aussagekraft zu unterstellen. In einer kurzen Passage aus einer ˇCechov-Prosa liest Waterhouse eine Aussagefähigkeit der Gegenstände: "Die Welt spricht und sie sagt: Menschen, Steine, Feuer, die Dämmerung, ein Baum. Mögen sie auch stumm sein, es sind fünf Worte, fünf Klänge. Mögen sie später durch ˇCechov laut werden, aber die eigentlich Lautende, die Dichterin ist hier die Welt. […] Die Welt kann erzählen […].“ Oder, an anderer Stelle ("Die Schweizer Korrektur“): "Im Akazienwäldchen liegen Dosen, Papier, Zigarettenschachteln, zerbrochene Ziegel und Betonstücke auf dem Gras und Moos. […] Auf dem Akazienwaldboden liegt also ein Gedicht.“

Wirksame Ammenmärchen

Der Sprache insgesamt und der Sprache der Dichtung im Besonderen mutet Waterhouse aber auch zu, das "vollkommenste Archiv der unsinnlichen Ähnlichkeit“ (W. Benjamin) zwischen Ausdruck und Bedeutung sein zu können: "In der Sprache wirkt eine Namenskraft oder Hervorbringerkraft.“ Als Folge davon leuchtet auch die Waterhouse’sche Einschätzung der Rolle ein, die Sprache für Denkvorgänge spielt - wenngleich Philosophie und Kognitionswissenschaft seit dem Abflachen des "linguistic turn“, dem zufolge die Erforschung der Sprache der Königsweg für das Verstehen von Denken darstellte, der Frage nach der Relation von Sprache und Denken nun wieder unentschiedener gegenüberstehen. Für den Dichter hingegen ist Sprache auch unabhängig von Gedanken schon immer wirksam (im Gedicht): "Während die Zeile einen Gedanken äußert, tut die Sprache, tun die Laute etwas, das irgendwie kein Gedanke ist; nichtgedanklich ist, vorgedanklich vielleicht: als ob es Sprachliches gibt, das dem Denken vorausliegt.“

Sich der Sprache anzuvertrauen, ihrem in ihr aufgespeicherten Archiv-Wissen: Das führt auch abseits des etymologisch Gesicherten zu poetischen Evidenzen. Gerade der Fehler und die falsche Etymologie können sich als anregend und auf nicht wahrheitsbezogene Weise "entsprechend“ erweisen, etwa wenn der Grimm fälschlicherweise den Wortteil "-gno-“ in "cognoscere“ - "erkennen“ mit dem Wort "Namen“ in Verbindung bringt. Auch wenn dies wissenschaftlich nicht haltbar ist, sei damit dennoch ein im besten Sinn wirksames "Ammenmärchen“ erzählt.

Durch die Poesie werden den Dingen und der Sprache und dem Dichter neue Relationen der Aussageformen zuteil, die Poesie ist verschieden vom Anschaulichen des einzelnen Gedichts, aber auch von der Lösung einer durch dieses gestellten Aufgabe: "das Gedicht sucht in der Sprache nach der Gewinnung von Gegenwart“, ohne den Symbolgehalt der verwendeten Metaphern auszureizen.

Es fügt sich in diese Auffassung von Poesie als ontologischer Gegebenheit mit eigenständigen Gesetzen, dass Waterhouse in seinen frühen Gedichten das poetische Ich und die Gegenstände der Welt zusammenfallen lässt: "Ich: Kirsche“ heißt es z.B. in dem Band "Menz“. Mit diesem Vertrauen setzt er sich von der Skepsis Jandls ab. Zugespitzt: In seinem Gedicht "Blitze und Bettler“ leitet Waterhouse aus dem Buchstabenmaterial von "Otto“ die Nähe zu "Gott“ in seiner (Waterhouse’) anderen Sprache her. "Das Zentrum der Welt: Otto […] Otto sagt: Der achte Tag. […] Oder als / Amerikaner: Oh my God, you want eight dollars?“ Jandl lässt die Geschichte von "ottos mops“ nach dessen Rückkehr in der Manier des verlorenen Sohnes und nach dessen "Kotzen“ in Ottos kolloquialer Exklamation "ogottogott“ ironisch versanden.

In der eigenen Dichtung, in der Reflexion darüber, aber auch im Nachdenken über das Dichten anderer (Paul Celan, Andrea Zanzotto, Michael Hamburger, William Shakespeare etc.) und zudem im Übersetzen findet Waterhouse zu einer Sprach- und Lebensform, für die "Wirklichkeit das Gegenteil von Wahrheit“ ist.

In seinem jüngeren Werk hat sich Waterhouse vor allem der Prosa zugewandt: "(Krieg und Welt)“ hat eine Selbstentmächtigung von Literatur und des poetischen Weltzugangs zu seinem Anspruch. "Was ist das Gegenteil von Wahrnehmung - sich besiegen lassen“, hat Waterhouse in anderem Zusammenhang einmal Kafka zitiert und damit wohl eine der Leitlinien auch von "(Krieg und Welt)“ formuliert: nicht bannendes Festhalten der Welt durch die poetische Benennung, sondern ein Vorführen der Bedingungen des sich Beugens unter die Äußerungsformen der Dinge.

Finden ohne Ende

Diese Linie setzt sich in seinem jüngsten Buch "Der Honigverkäufer im Palastgarten oder das Auditorium maximum“ fort. Auch hier nimmt das Text-Ich Reflexionen über das Unerzählte zum Ausgangspunkt des eigenen poetischen Tuns in der Prosa (aber auch im Gedicht und in der Übersetzung): Das "Unsichtbare wird irgendwie sichtbar“, das, "wovon der Romanbeginn nicht erzählte“, wird "unerzählerisch und unaufmerksam oder unmerklich sichtbar“. Das Text-Ich hört in den Sonetten Shakespeares, diesen vielübersetzten und -gedeuteten, etwas Unübersetzbares. Dieses sei das Unentschlossene, mache keine Bilder von Etwas, sondern gleichsam Nicht-Bilder. Das Verstehen solcher Sätze gleicht dem Lesen von Gedichten, es hat nichts mit einem Aufschlüsseln zu tun, sondern ist ein fortwährendes Finden, ein fortwährendes Erkennen, ein "Finden ohne Ende“.

Während Jandl das vergehende Selbst in "heruntergekommener Sprache“ ausstellte ("seinen mistigen / leben er nun nehmen auf den schaufeln von worten / und es demonstrieren als einen den stinkigen haufen / denen es seien“), lässt Waterhouse in seiner Poesie los: "Unser größtes Gut sei unser Ende, unser Geben, unser Aufgeben von Selbst und Ich“.

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