Die Wende kommt nicht vom Fleck

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Eigentlich sollten die ersten Maßnahmen der von der deutschen Regierung beschlossenen Wende in der Energiepolitik längst stehen - doch vor allem die Länder wehren sich.

Ein Jahr ist es her, dass Deutschland eine radikale Energiewende beschlossen hat. Unter dem Eindruck des Atomunglücks im japanischen Fukushima hatte die Bundesregierung aus Union und FDP im Juni 2011 die Abkehr von der Kernkraft vereinbart. 2022 wird der letzte der 17 deutschen Atommeiler vom Netz genommen. Außerdem sollen die erneuerbaren Energien bis 2020 einen Anteil von 35 Prozent an der gesamten Stromversorgung erreichen. Bis 2050 soll der Ausstoß an Treibhausgasen in Deutschland um 80 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden.

Ehrgeizige Ziele, doch den nötigen Schwung dafür hat die Energiewende in den letzten zwölf Monaten nicht bekommen. Obwohl 69 Prozent der Bürger laut Umfrage weiterhin zu ihr stehen. Das hat auch mit der Entlassung Norbert Röttgens als Umweltminister nach einer peinlichen Wahlniederlage in Nordrheinwestfalen zu tun.

Keine Ergebnisse bei der Energiewende

Röttgens Nachfolger heißt Peter Altmaier, war zuvor Bundesgeschäftsführer der CDU gewesen, aber bis zu seiner Ernennung kein ausgewiesener Umweltpolitiker. Doch ist er Merkel treu ergeben, und das zählt. Sie muss ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen um den Erhalt ihrer Macht bangen. Zwei große Probleme harrten einer Lösung - auch - durch Altmaier, beide schienen ziemlich verfahren: Die Endlagerung von Deutschlands Atommüll und die Kürzung der Solarförderung um 30 Prozent - ein Beschluss des Bundestags, den die Länderkammer gestoppt hat. Der Vermittlungsausschuss hatte sich der Frage anzunehmen, was neuerliche Verzögerungen bedeutete. Dieser Tage konnte immerhin für den Solarbereich ein Kompromiss erzielt werden.

Dass sich die Länder querlegten, selbst solche, in denen die Union regiert, als es darum ging bei der Solarenergie die Schrauben anzudrehen, hat einen tieferen Grund: In Betrieben des Wirtschaftszweiges erneuerbare Energien sind mittlerweile 381.600 Menschen beschäftigt, bis 2030 könnte es eine halbe Million sein, hat die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung in einer Studie errechnet. Wegen der zu erwartenden Förderungskürzungen sowie der Situation auf dem Weltmarkt, war es in den letzten Monaten zu einer Pleitewelle in der Solarbranche, vor Kurzem noch großes Hoffnungsgebiet der Wirtschaft, gekommen.

Die erneuerbaren Energien legen dennoch kräftig zu. Bei Sonnenenergie erreichte Deutschland eine neue Spitzenleistung: Die Solaranlagen im Bundesgebiet schafften erstmals eine Gesamtleistung von mehr als 20.000 MW. Das entspricht der Leistung von mehr als 20 Atomkraftwerken. Dieses Sonnenlicht hat allerdings auch seine Schattenseiten: Denn steigt die Einspeisung, steigt auch die vereinbarte Förderung pro Anlage. Das kann den deutschen Abnehmer, der dies über die EEG-Umlage bezahlt, bald teuer zu stehen kommen.

Nur einen Monat nachdem sie Vertreter von Wirtschaft und Interessenverbänden ins Bundeskanzleramt geladen hatte, rief Bundeskanzlerin Merkel im Mai neuerlich zu sich, diesmal zu einem Gipfel mit den Ministerpräsidenten (Landeshauptleuten) der 16 deutschen Bundesländer. Die Themen waren dieselben: Der nach wie vor nicht in Bewegung kommende Stromnetzausbau, die fehlenden Investitionen in neue Gaskraftwerke, die eine Reserve für die volatilen Erneuerbaren werden sollen, und ein drohender Kostenanstieg für die Konsumenten. Konkretes blieb als Ergebnis aus.

Anfang Juni kam es zu einem vom bayrischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Horst Seehofer schon lange geforderten Spitzentreffen der Chefs der drei in der Regierung vertretenen Parteien. Herausgekommen ist in Sachen Energiewende auch diesmal nichts.

Rückstand bei Netzausbau

In ihrer wöchentlichen Video-Botschaft räumte die Bundeskanzlerin einen Rückstand beim Netzausbau ein. 3800 Kilometer neuer Stromautobahnen wären nötig, die Netzbetreiber rechnen mit Kosten von 20 Milliarden Euro bis 2022. Weitere 4400 Kilometer Netz müssten optimiert werden.

Der Umweltminister will nun einen Konsens über fünf Punkte erzielen: Die Unumkehrbarkeit des Atomausstiegs, das gemeinsame Festhalten am Ausbauziel der erneuerbaren Energien, den Einsatz für uneingeschränkte Versorgungssicherheit, die Verzahnung von Wind- und Solarenergie mit dem Netzausbau und das Vermeiden von Wettbewerbsnachteilen und sozialen Problemen durch zu hohe Energiepreise. Während die Stimmung in Deutschland - ob in den Parteien, den Verbänden, der Wirtschaft, speziell der Energie-Branche oder unter den Konsumenten - immer nervöser wird, bleibt eine nach außen hin gelassen, obwohl sie nicht den Anschein erweckt, Lösungen in der schwierigen Situation parat zu haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es hat etwas von Kohl’schem Aussitzen. Doch die Energiewende geht nicht vorüber, sie klebt an der Regierung und könnte sogar entscheidend dafür werden, ob es 2013 zu einer Neuauflage der Koalition aus Union und Liberalen kommt.

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