Die Wirren unter Österreichs Aleviten

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Zwischen 20.000 und 60.000 Aleviten leben hierzulande. Vor wenigen Wochen sind im Kultusamt gleich zwei alevitische Anträge auf Zuerkennung des Status einer "religiösen Bekenntnisgemeinschaft" eingelangt. Folgenschwere Identitätsprobleme einer Religion in Österreich.

Der erste kam am 23. März. Der zweite am 9. April. Innerhalb von zwei Wochen reichten zwei verschiedene alevitische Vereine beim Kultusamt des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur Anträge auf Anerkennung als "religiöse Bekenntnisgemeinschaft" ein. Um zu verstehen, warum die Aleviten nicht einen geschlossenen Versuch gestartet haben, sondern zwei separate, muss man einen Blick hinter die Kulissen werfen. Auf die Geschichte der Aleviten selbst, auf die rechtliche Situation in Österreich und schließlich auf eine vermeintlich einfache, aber durchaus entscheidende Frage: Sind die Aleviten Muslime oder nicht?

Die Geschichte der Aleviten geht auf jenes Ereignis zurück, in dem auch jene des Islam eine ihrer ersten wichtigen Zäsuren erlebt hat: auf den Streit um die Nachfolge Mohammeds. Ali - nach ihm sind die Aleviten benannt - war ein Cousin und Schwiegersohn des Propheten. Er war auch der vierte und damit letzte unumstrittene Kalif in der Nachfolge Mohammeds.

An seiner Herrschaft allerdings schieden sich die Geister, und die Schia Ali, die Partei Alis, bildete eine eigene Strömung innerhalb des Islam - die heutigen Schiiten. Aus dieser Strömung heraus entwickelte sich ein paar hundert Jahre später, also zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert, in Anatolien das Alevitentum. Maßgeblich geprägt wurde diese neue Strömung sowohl durch die islamische Mystik, den Sufismus, als auch durch Einflüsse türkischer Volksreligiosität.

Große Unterschiede zum orthodoxen Islam

In ihrer Lehre und Glaubenspraxis teilen die Aleviten zwar gewisse Grundlagen mit dem Islam, es zeigen sich jedoch auch Unterschiede in sehr wesentlichen Bereichen. So lehnen die Aleviten beispielsweise die berühmten fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen, Pilgerfahrt nach Mekka) ab. Sie haben dafür religiöse Äquivalente, die vom orthodoxen sunnitischen oder schiitischen Islam als häretisch angesehen werden.

Aleviten beten nicht in Moscheen, sondern in sogenannten Cem-Häusern, wo auch rituelle Tänze stattfinden. Außerdem sehen sie den Koran nicht als direkte und unverfälschte Offenbarung Gottes an, sondern vielmehr als eine durch die Überlieferung verfälschte Version. Deshalb gilt der Koran für die Aleviten lediglich als eine Quelle, die wissenschaftlich weiter erschlossen werden muss. Besondere Bedeutung kommt daher der mündlichen Tradition zu, allerdings nur jener der Aleviten selbst. Die in den Hadithen festgehaltenen Überlieferungen des Propheten Mohammed lehnen die Aleviten entschieden ab.

Frauen sind bei den Aleviten den Männern gleichberechtigt, sie tragen auch kein Kopftuch. Im Gegensatz zum klassischen Islam ist die Monogamie die einzig erlaubte Eheform.

In der Türkei gelten die Aleviten dennoch bis heute offiziell als Muslime, ihre Rituale und Bräuche werden als kulturelle, nicht als religiöse Traditionen angesehen - ein Umstand, der die Beziehung zwischen Aleviten und dem Islam noch weiter verschlechtert.

Allen diesen Umständen zum Trotz werden die Aleviten in Österreich von der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) vertreten. Das liegt am veralteten Islamgesetz, das dem Islam die autonome Regelung interner Angelegenheiten zugesteht, und daran, dass die Aleviten bisher als Teil des Islam galten. Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2001 wurde die Anzahl der Aleviten gar nicht erst erhoben. Die, die Islam ankreuzten und Alevit daneben schrieben, wurden dem Islam zugerechnet. Jene, die nur Alevit auf den Zettel kritzelten, wurden überhaupt nicht vermerkt.

Zwei Ansuchen um Anerkennung

Angesichts der erheblichen Unterschiede ist es aber eher verwunderlich, dass die Autonomiebemühungen der österreichischen Aleviten so lange auf sich warten ließen, als dass sie überhaupt stattfinden. Unter Betonung eben dieser Unterschiede reichte die "Föderation der Alevitengemeinden in Österreich" ("Avusturya Alevi Birlikleri Federasyonu" AABF; www.aleviten.or.at) am 9. April ihr Ansuchen um Registrierung als "eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft" an das Kultusamt.

Es handelt sich dabei um eine Art Vorstadium zum Status einer "echten" Religion. Eine religiöse Gruppierung muss zehn Jahre in diesem Vorstadium verbringen und eine Anhängerschaft von zwei Promille der österreichischen Gesamtbevölkerung umfassen, um zu einer "gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft" aufzusteigen.

Die eingereichten Unterlagen der AABF legen einen auffallenden Fokus auf das Trennende vom Islam. Das liegt daran, dass man so einem möglichen Konflikt mit dem Islamgesetz aus dem Wege geht. Sieht man das Alevitentum nämlich als Teil des Islam an, so wären dessen Autonomiebestrebungen eine interne Angelegenheit, in die sich der Staat laut Islamgesetz nicht einmischen darf.

Genau in diesem Punkt liegt die Ursache für den anderen Antrag. Der "Kulturverein der Wiener Aleviten", der diesen eingebracht hat, ist mit diesem Kurs der Föderation offensichtlich nicht zufrieden. "Wir wollen uns nicht mit dem Alevitentum allein zufriedengeben", sagt Pressesprecher Riza Sari zur Furche: "Wir sehen uns auch als Muslime."

Eine alevitische Bekenntnisgemeinschaft sei für ihn nur dann vorstellbar, wenn es daneben keine Gemeinschaft gebe, die einen Alleinvertretungsanspruch über alle Muslime stelle.

Genau deshalb lautet der Antrag des Kulturvereins der Wiener Aleviten auch auf "Islamische-Alevitische Glaubensgemeinschaft". "Wir sind bereit, diesen Antrag bis zu den Höchstgerichten zu tragen. Sollten wir eine Absage bekommen, können wir immer noch den Antrag der Föderation unterschreiben."

Juristische Kalamitäten erwartet

Die wiederum ist über den zusätzlichen Antrag eines ihrer Mitgliedsvereine natürlich nicht erfreut. "Wir waren über den Alleingang der Wiener Kollegen im Vorfeld nicht informiert", erzählt Deniz Karabulut, Sprecher der AABF. Etwaige Konsequenzen würden intern geklärt. "Ich hoffe aber, dass die Vernunft und Einsicht siegt und die Wiener ihren Antrag zurückziehen."

Der einfachere Weg wäre das jedenfalls, denn zwei formal gleichwertige Anträge würden ein juristisches Chaos verursachen. Der Antrag auf eine "Islamische-Alevitische Glaubensgemeinschaft" könnte nämlich sowohl mit dem Islamgesetz, als auch mit dem Antrag der AABF Reibungsflächen verursachen.

Das Anecken am Islamgesetz ist dabei durchaus erwünscht, wie die kampfeslustigen Aussagen der Wiener Aleviten beweisen. Unterstützt werden sie dabei unter anderem vom Betreiber des "Islamischen Informations- und Dokumentationszentrums", Günther Ahmed Rusznak, der die IGGiÖ seit Jahren immer wieder öffentlich kritisiert hat. Rusznaks Ziel ist eine Änderung des Islamgesetzes, die durch die Anerkennung einer "Islamischen-Alevitischen Glaubensgemeinschaft" notwendig wäre.

Stellvertreterkonflikt mit der IGGiÖ

Das IIDZ will eine "Demokratisierung der IGGiÖ". Dass die Islamische Glaubensgemeinschaft die alevitischen Unabhängigkeitsbestrebungen aber von vornherein unterstützt hat, wird außer Acht gelassen. So bestätigt Pressesprecherin Carla Amina Baghajati gegenüber der Furche: "Die IGGiÖ begrüßt alevitische Bemühungen, die auf eine staatliche Anerkennung ihrer Glaubensrichtung als eigene eingetragene Bekenntnisgemeinschaft zielen." Die Beteiligung Rusznaks will sie nicht kommentieren.

Der Konflikt der beiden Anträge untereinander besteht darin, dass die beiden Antragsteller inhaltlich und organisatorisch stark miteinander verbunden sind. Für Richard Potz, Experte für Religionsrecht an der Universität Wien, ist die Rechtslage dennoch relativ einfach: "Sollten sich die Aleviten untereinander nicht einigen können, wird der Staat nicht umhin kommen, beide Gruppen anzuerkennen."

Allerdings wäre das nur dann möglich, wenn diese sich auch untereinander unterscheiden. Zwei Anerkennungen für ein und dieselbe Glaubensrichtung seien unwahrscheinlich.

Egal, ob es in den nächsten Monaten zu zwei alevitischen Bekenntnisgemeinschaften oder nur zu einer kommt, spätestens in zehn Jahren wird es wieder Probleme geben. Wenn es dann nämlich darum geht, eine Anhängerschaft von zwei Promille der österreichischen Gesamtbevölkerung nachzuweisen, würde ein Streit um die Mitglieder losbrechen.

Niemand weiß genau, wie viele Aleviten es in Österreich gibt, die Zahlen schwanken zwischen 20.000 und 60.000. Mit etwas Pech könnte sich eine Situation ergeben, in der keine der beiden Bekenntnisgemeinden die nötigen 16.000 Mitglieder nachweisen kann. Auch dann wird sich wieder die Frage stellen, wie wichtig den Aleviten ihre Verbindung zum Islam ist.

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