Die Zeit nach der Zeit

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Vergänglichkeit thematisiert Adrián Villar Rojas mit seiner Schau und setzt das Kunsthaus Bregenz sehr eindrücklich und aufwendig in Szene.

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Vergänglichkeit thematisiert Adrián Villar Rojas mit seiner Schau und setzt das Kunsthaus Bregenz sehr eindrücklich und aufwendig in Szene.

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Er erzählt mit Materialien Geschichten. Oder inszeniert eine Show, wie derzeit im Kunsthaus Bregenz. "The Thea ter of Disappearance" nennt der 37-jährige Argentinier Adrián Villar Rojas seinen das gesamte Kunsthaus vereinnahmenden Auftritt. Denn das Kleine ist seine Sache nicht, war es seit seinem Auftauchen in der internationalen Szene nie. Er mag es vielmehr groß, opulent, theatralisch, archaisch konnotiert. Das war schon bei der documenta von 2012 so, als er einen acht Meter langen Knochen aus Ton in einen Kassler Weinberg gelegt hat, genauso wie drei Jahre davor bei der "Bienal des Fin del Mundo" im heimatlichen Patagonien, wo er einen Wal in einem Wald stranden ließ.

In Bregenz macht er das ganze Haus zur Bühne. Sogar der Tresen für die Kassa, der üblicherweise im Erdgeschoß seinen Platz hat, wurde ins Untergeschoß verbannt. Passt für den Künstler nicht in einen Tempel, als den er den monolithischen Zumthor-Bau empfindet. Vier Wochen war Villar Rojas gemeinsam mit seinen "Kollaborateuren" mit dem Aufbau an diesem für ihn "ikonischen Ort" beschäftigt, worunter das an Künstlerextravaganzen eigentlich gewöhnte Kunsthaus-Team unüberhörbar gelitten hat: Sei Villar Rojas doch "ein Biest", so Kurator Rudolf Sagmeister, ein absoluter Perfektionist, dem nichts gut genug ist.

In der Kunst bewegen

Er möge das Konstruierte, das Zeichenhafte, auch das uneindeutig Konfuse, das kunstvolle Fake, sagt Villar Rojas. Um aus einer "postmenschlichen Position" heraus metaphorisch aufgeladene Geschichten zu erzählen, die uns alle angehen, handelnd von Zeit, von Vergänglichkeit und Tod, von dem, was bleibt. Der Besucher bekomme in dieser Ausstellung keine Kunst vorgesetzt, sondern soll sich in ihr bewegen, Teil von ihr werden, so Kunsthaus-Direktor Thomas Trummer.

In das Erdgeschoß hat Villar Rojas einen Holzboden gelegt, bemalt mit einer auf 540 Quadratmeter aufgeblasenen Kopie von Piero della Francescas "Madonna del Parto". Die Oberfläche zeigt Verletzungen, lesbar als Schrammen, die die Geschichte seit dem Entstehen des Bildes vor mehr als 500 Jahren mental in dessen makellose Oberfläche gefressen hat. Durch die Größe des Bildes sind immer nur Details erkennbar. Das Ansinnen des Betrachters, das Gesamte zu erfassen, wird zum hoffnungslosen Unterfangen - auch weil der Ort in buntes Licht getaucht ist: hinter den gläsernen Wänden sind Folien angebracht. Ihr Muster erinnert schemenhaft an großstädtische Straßenschluchten, entnommen Wong Kar Wais Liebesfilm "2046", in dem es um das Erinnern geht.

Einen Stock höher wird es ziemlich dunkel, man scheint auf einem archäologischen Ausgrabungsgelände gelandet zu sein. Dass es unter Wasser liegt, lässt die gläserne Decke vermuten, auf der künstlicher Efeu wuchert, das einzig -wenn auch nur scheinbar - Lebendige in diesem düsteren Setting. Der gesamte Boden ist mit aus Marokko herangekarrten Marmorplatten belegt. In sie eingeschlossen bzw. zu Flachreliefs herausgearbeitet sind Versteinerungen räuberischer Tiere, die vor rund 400 Millionen Jahren gelebt haben. Organisches und Anorganisches sind hier gleich, die Zeit wird zum alles gleichmachenden Faktor.

Im Olymp angekommen

Das zweite Obergeschoß wird allein von einem zehn Meter langen offenen Feuer erhellt. Sein flackerndes Licht lässt vage Picassos "Guernica" erkennen. In einem Käfig dahinter tauchen Bilder eines urgeschichtlichen Jägers und eines Sauriers auf. Die Mitte des Raumes wird von einem eigenartig martialisch daherkommenden "Lüster" (Villar Rojas) dominiert. Er schwebt über einem gläsernen Tisch mit einem 2,6 Tonnen schweren Fuß aus einem versteinerten Baumstumpf, ist umstellt von fünf Stühlen aus Marmor. Was hier angesichts des Antikriegsbilds schlechthin verhandelt werden soll, verheißt jedenfalls nichts Gutes.

Ganz oben wird es gleißend weiß. Hier wird die Zeit nach der Apokalypse verhandelt, reduziert zu einem pompösen Denkmal, symbolisiert durch Michelangelos auf seine Beine reduzierten "Davids". Der Mensch ist hier offensichtlich im Olymp angekommen, allerdings als per Computer aus weißem Marmor gefrästes Klischee. Überlebt hat die Geschichte dagegen eine kleine schwarze Spinne, die die hehre Kunst offensichtlich absolut unbeeindruckt lässt.

The Theater of Disappearance bis 27. August, Kunsthaus Bregenz www.kunsthaus-bregenz.at

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