Die Zivilgesellschaft globalisiert sich

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Die 68er sind mittlerweile ziemlich alt und müde geworden. Aber jetzt haben sie ein neues Werkzeug entdeckt: das Internet.

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Die 68er sind mittlerweile ziemlich alt und müde geworden. Aber jetzt haben sie ein neues Werkzeug entdeckt: das Internet.

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Die Debatte. Zivilgesellschaft im Aufbruch?

Zum Thema. Repolitisierung? Ein Nutznießer der Ereignisse rund um die Regierungsbildung waren die Tageszeitungen. Die Auflagen schnellten spektakulär in die Höhe und wurden als Indiz dafür gewertet, daß das politische Interesse der Österreicher wieder erwacht sei. Auch die nach wie vor stattfindenden Demonstrationen werden ähnlich gedeutet. Nach dem langen politischen Stillstand im Land soll der Wechsel an der Regierungsspitze zu einer bemerkenswerten Repolitisierung beigetragen haben.

Ist damit eine nachhaltige Veränderung eingetreten? Ist die Zivilgesellschaft aus ihrem Schlaf erwacht und politisch aktiv geworden, oder werden diese demokratiepolitisch erfreulichen Auswirkungen des Regierungswechsels bald wieder erlahmen? WM Vielleicht hat Bundeskanzler Wolfgang Schüssel doch nicht Unrecht gehabt, als er in diffamierender Absicht die Demonstranten des 19. Februar als Altlinke 68er und Internet-Generation abqualifizierte. Es ist schon was dran. Da ist eine Generation, der man immer jedes politische Interesse abgesprochen hat, auf die Straße gegangen und hat massiv gegen politische Vorgänge protestiert. Dieser Protest paßt in keine politische Schublade und ist mehr Ausdruck eines gefühlsmäßigen Unbehagens als fundierter politischer Meinungsbildungsprozesse. Aber es ist der Beginn eines politischen Aufbruchs, dessen Vertiefung und Ausgang höchst ungewiß ist.

Noch etwas hat sich abseits des Mainstreams der Informationsgesellschaft in den letzten Jahren ereignet und das trifft tatsächlich jene, die 68 jung und engagiert waren. Nur wenige von ihnen haben den Marsch durch die Institutionen angetreten und sind ganz oben angekommen. Der größere Teil, Angehörige ganz unterschiedlicher politischer Richtungen, sorgt seit den siebziger Jahren dafür, daß das soziale Klima noch nicht in einer neuen Eiszeit erstarrt ist. Sie haben die Frauenbewegung am Laufen gehalten, gegen Atomkraftwerke und für die Hainburger Au gekämpft, arbeiten in der Entwicklungszusammenarbeit und für den Frieden und die meisten sind mittlerweile ziemlich alt und müde geworden - nun aber haben sie ein neues Werkzeug entdeckt - Schüssels Vorwurf trifft ins Schwarze - die 68er sind zur Internet Generation geworden.

Es begann vor zwei Jahren, als plötzlich Umwelt- und Entwicklungsorganisationen mit E-mails aus allen Teilen der Welt überhäuft wurden, die auf die Gefahr des MAI (Multilaterales Investitionsabkommen) hinwiesen. Nach anfänglichem Zögern sahen auch wir, die Katholische Frauenbewegung ein: da ist Handlungsbedarf! Wir fragten im Wirtschaftsministerium an, bekamen ausweichende Antworten, wir sprachen mit anderen Organisationen und es entstand ein Netzwerk. Dies alles geschah nicht nur in Österreich, sondern in allen Ländern. Projektpartner unserer Aktion Familienfasttag in Indien und auf den Philippinen engagierten sich ebenso wie Universitätsinstitute in Wien. Am erfolgreichsten waren die Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) in Frankreich. Von dort gelangte der Widerstand gegen das MAI-Abkommen in die EU-Gremien und das Multilaterale Investitionsabkommen wurde vorerst einmal weltweit feierlich begraben. Die Gefahr, daß es in anderem Gewand und ebensolcher offiziellen Geheimhaltung wieder auferstehen würde, bleibt allerdings.

Als der frühere Wirtschaftsminister Farnleitner nach dem WTO-Debakel von Seattle meinte, man hätte nur ins Internet schauen müssen, um den Widerstand gegen diese Konferenz zu ermessen war es für mich klar - das Internet ist eines der Instrumente der Zivilgesellschaft auf dem Weg zu deren Globalisierung.

Endlich eröffnet sich die Möglichkeit, der Globalisierung der Märkte etwas entgegenzustellen. Bis jetzt haben alle Versuche zu deren Zähmung versagt. Kann der David globale Zivilgesellschaft mit Hilfe neuer Medien die Auseinandersetzung mit dem Goliath der globalen Märkte aufnehmen? Das zu glauben wäre Größenwahn. Verbündete für NGOs könnten in dieser Auseinandersetzung zum Teil die jeweiligen Regierungen sein, die ebenfalls durch diese Entwicklung entmachtet werden. Die Verflechtungen der Macht zwischen Politik und Wirtschaft sind aber stärker als demokratisches Bewußtsein und politischer Weitblick.

Trotz allem bleibt das Vertrauen in die subversive Kraft der "Inter-Vernetzung" all jener, die weltweit für eine solidarischere und gerechtere Welt eintreten. Die jungen lustvoll Unorganisierten, die NGOs und WissenschaftlerInnen, aber auch Wirtschaftstreibende und Politiker, die die Zeichen der Zeit zu lesen wissen.

Die Autorin ist Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung der Erzdiözese Wien.

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