Die Zukunft der Bundesländer

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Die Eigenständigkeit der Bundesländer ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Bundesstaat.

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Die Eigenständigkeit der Bundesländer ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Bundesstaat.

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Seitens der Präsidenten der Landtage wird die anläßlich des Beitrittes Österreichs zur EU zwischen Bund und Ländern verbindlich vereinbarte Reform des Bundesstaates, die eine Stärkung der Bundesländer zum Ziel hat, ausdrücklich begrüßt. Den Ländern als gewachsenen Einheiten kommt im politischen System des Bundesstaates eine zentrale Rolle zu. Dies wird bei Vorschlägen, die Länder zugunsten von Großregionen abzuschaffen, gänzlich übersehen.

Der österreichische Bundesstaat ist fraglos dringend reformbedürftig. Ohne eine grundlegende Reform im Sinne einer Stärkung der Länder kann die Republik Österreich ihren Bürgern nicht das bestmögliche Ausmaß an Chancen in einem sich zusehends stärker integrierenden Europa bieten.

Vor diesem Hintergrund sind die derzeit im Nationalrat liegenden Vorschläge der Bundesregierung hinterfragungswürdig. So will etwa der Bund die lange versprochene Verländerung der sogenannten "mittelbaren Bundesverwaltung" auf die Weise vornehmen, daß trotz Übertragung der Verwaltung dieser Aufgaben an die Länder durch eine neu errichtete "Bundesaufsicht" eine mindestens gleich große Bürokratie wie bisher nötig sein wird. Auf diese Weise würden weder die Kosten der Verwaltung geringer noch die Verwaltungsabläufe kürzer.

Nichts abgewinnen können die Präsidenten der Landtage auch Vorschlägen wie jenem, die Bundesländer abzuschaffen und an ihrer Stelle Großregionen zu bilden. Zahlreiche Beispiele belegen, daß dadurch keine kostengünstigere und effektivere und schon gar nicht eine bürgernähere Wahrnehmung von Staatsaufgaben ermöglicht wird. Zudem wird bei solchen Vorschlägen gänzlich die zentrale Rolle übersehen, die gewachsene Einheiten und politische Traditionen für die demokratische Legitimität darstellen.

Ein kurzer Blick in die Geschichte Vorarlbergs verdeutlicht diese gewachsenen Einheiten. Am 18. August 1391 wurde die "Vorarlberger Eidgenossenschaft" gebildet. Dieser Bund gilt als Geburtsstunde der Vorarlberger Landstände und damit eines Vorarlberger Landtages. Die schon damals erfolgte aktive Teilnahme und Einbeziehung der Untertanen weist auf ein gewisses Mitspracherecht der Bevölkerung hin. Die Landstände entstehen.

Im Verlauf der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts etablierte sich Vorarlberg als eigene ständische Körperschaft. Wichtigstes Gremium der Landstände bildete der Landtag. Die Einberufung eines Landtages ging ausschließlich vom Landesherrn aus. Tagungsort war ursprünglich zumeist Feldkirch, nach dem Dreißigjährigen Krieg immer öfter auch Bregenz.

Formal beseitigt wurden die Vorarlberger Landstände mit der im Mai 1808 erfolgten Aufhebung aller Sonderverfassungen im Königreich Bayern. In Vorarlberg wie in Tirol erhoffte sich die Bevölkerung nach der 1814 erfolgten Wiedervereinigung mit Österreich die neuerliche Gewährung jener ständischen Verfassung, wie sie in der Zeit vor der bayerischen Herrschaft in Geltung war.

Die nominelle Wiedererrichtung der ständischen Verfassung im Jahr 1816 blieb jedoch nur eine äußerliche Geste. Bis 1848 trat dieser Vorarlberger Landtag praktisch nur einmal in Aktion. Weitere Bemühungen um eine Belebung der Stände blieben erfolglos.

Mit dem Sieg des Absolutismus in Wien und einer dem Land Vorarlberg oktroyierten zentralistischen Verfassung endete die Revolution von 1848. Vorarlberg verlor seine eben erst ausgearbeitete Verfassung und wurde mit Tirol zu einem Kronland vereinigt. Vorgesetzte Behörde für das Land war die k.k. Statthalterei für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck.

Damit war jene Situation eingetreten, die es politischen Gruppen erlaubte, die Losung "Los von Tirol" als Mittel der politischen Argumentation einzusetzen. Erster nach außen sichtbarer Erfolg war die Errichtung einer eigenen Handelskammer für Vorarlberg im Jahr 1850.

Mit Erlaß des Februarpatents 1861 gestand Kaiser Franz Joseph I. den 15 Ländern Österreichs und damit auch Vorarlberg je eine eigene Landes-Ordnung und Landtagswahlordnungen zu. Damit war für Vorarlberg der Weg frei, einen eigenen, neuen Landtag zu wählen.

Dessen ungeachtet wurden die Bestrebungen nach Selbständigkeit ungemindert fortgesetzt. Ziel war es, endlich wieder eine selbständige und von Tirol unabhängige Verwaltung zu bekommen und den Wirkungskreis des Landtages gegenüber dem Reichsrat und dem Kaiser zu erweitern.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor zur Identitätsbildung war die Zustimmung der Statthalterei Innsbruck, die Vorarlberg 1898 erlaubte, ein eigenes Landesarchiv zu gründen.

Um die Schaffung eines selbständigen Landes in die eigene Hand zu nehmen, mußten auch die Vorarlberger das Ende der Ersten Weltkrieges und den Zusammenbruch der Donaumonarchie abwarten.

Am 3. November 1918 konstituierte sich der neue Vorarlberger Landtag unter Landeshauptmann Otto Ender. Unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht wurde dabei die gemeinsame Verwaltung des Landes mit Tirol aufgehoben. Die ersten Landtagswahlen fanden am 27. April 1919 statt. Damit war die erste Konsolidierungsphase des neuen Bundeslandes Vorarlberg abgeschlossen.

Dieser kleine Exkurs in die Vorarlberger Landesgeschichte vedeutlicht die vielfältigen Bestrebungen nach Selbständigkeit. Bestrebungen, die heute, im Lichte eines vereinten Europas nach wie vor ihre Gültigkeit haben.

Vorarlbergs Verhältnis zu Wien und neuerdings auch zu Brüssel ist durchaus selbstbewußt gestaltet. Eingebunden in den Gesamtstaat und die Europäische Union ist es notwenig, sich die Eigenständigkeit im Bundesstaat und in einem Europa der Regionen zu erhalten.

Starke regionale Parlamente, die in besonderer Weise mit ihrer Region und den Bürgern vertraut sind, werden bei aller notwendigen überregionalen Zusammenarbeit auch in Zukunft die Probleme in ihren Regionen besser zu lösen imstande sein, als zentralistisch ausgerichtete große Verwaltungseinheiten, die fernab von den Bürgerinnen und Bürgern agieren.

Den gewachsenen kleinen Einheiten kommt auch künftig eine starke Position zu. Allein schon daran läßt sich ermessen, wie wichtig die rasche Umsetzung der Bundesstaatsreform mit einer deutlichen Stärkung der Länder ist. Im Sinne der gewachsenen Strukturen und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger der Länder und Regionen.

Der Autor ist Präsident des Vorarlberger Landtags.

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