Diesem Faust fehlt die Regie

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In der Wiener Staatsoper hat man Goethes „Faust“ auf die Musik reduziert. Aber auch hier überzeugt vollends nur der Dirigent, die Sänger nur zum Teil. Und es bleibt dabei: Die französische Oper des 19. Jahrhunderts ist zuallererst dem Wohlklang verpflichtet.

Goethes „Faust“, der Gipfelpunkt der deutschen Theaterdichtung, werde zu einem seichten Rührstück degradiert: Mit diesem Vorwurf war Charles Gounods Oper „Faust“ im deutschen Sprachraum lange konfrontiert. Fast bis in unsere Tage lief das Stück meist unter dem Titel „Margarethe“, um nicht das Meisterwerk des Dichterfürsten zu beschmutzen. Dass der Neuproduktion dieses Werkes an der Wiener Staatsoper – selbstverständlich unter seinem richtigen Namen – kein Erfolg beschieden ist, hat jedoch andere Gründe: ein Zusammenspiel aus tragischen Ereignissen, Unvermögen und Eitelkeiten.

Der ursprüngliche Bühnenbildner verstarb im Vorjahr, Regisseur Nicolas Joel erlitt einen Monat vor der Premiere einen Schlaganfall. Stéphane Roche, der Joels szenisches Konzept umzusetzen versuchte, scheiterte kläglich. Ein Werk, in dem Goethes hochphilosophische Vorlage auf die Liebesgeschichte reduziert wird, in dem ein Soldatenchor den Krieg verherrlicht, in das – typisch für die französische Oper – immer wieder ein religiöses Moment einbricht, kann heute nicht ohne ein überlegtes, schlüssiges Regiekonzept auf die Bühne gebracht werden. Und der Regisseur muss auch über die Autorität verfügen, die Hauptdarsteller in die Schranken zu weisen, auch wenn es sich um ein sogenanntes Traumpaar der Oper handelt.

Was macht das Traumpaar daraus?

Roberto Alagna gibt den Faust, seine Frau Angela Gheorghiu die Marguerite, wie Gretchen bei Gounod heißt. Die Story ist schnell erzählt: Faust erhält von Méphistophélès (Kwangchul Youn) seine Jugend zurück, verführt und schwängert Margarethe, lässt sie sitzen, tötet deren Bruder Valentin (Adrian Eröd), sie wird wahnsinnig, ermordet das Kind und stirbt. Eine tragische Geschichte. Was macht das Traumpaar daraus? Alagna setzt in erster Linie sich selbst als charmanten, sportlichen Kerl in Szene, der dem Publikum in prahlerischer Pose seine Spitzentöne entgegenschmettert – und dabei das hohe C nicht sauber hervorbringt. Ansonsten bietet er eine gesanglich solide Leistung, detto die Gheorghiu. Allerdings entsprechen beide nicht den hohen Erwartungen, die man in Sänger setzt, welche einem als „Stars“ verkauft werden. Dass die Gheorghiu ein Kleid trägt, das offenbar von der vorletzten „Carmen“-Inszenierung übrig geblieben ist, dafür kann sie nichts. Sehr wohl aber, dass ihre Darstellung des Gretchens so gar nichts Keusches hat. Richtig ärgerlich ist, dass sich die Diva offenbar geweigert hat, das erste Bild des vierten Aktes zu singen (bei anderen Besetzungen wird dieser Teil sehr wohl zu sehen und zu hören sein). Noch nichts von den Kapricen seiner Sängerin ahnend, geißelt Bertrand de Billy die häufige Streichung dieser Szene im Programmheft als eine „schlimme Tradition“.

Wunderschön, schillernd, federleicht

So bleibt wieder einmal die Musik als Höhepunkt der Produktion. Bertrand de Billy gebührt – neben Adrian Eröd, der für seinen makellosen Gesang heftig akklamiert wurde – uneingeschränktes Lob. Wenn der Dirigent mit dem Staatsopernorchester – vulgo: Wiener Philharmoniker – die wunderschönen, schillernden Melodien federleicht aus der Partitur hervorzaubert, dann weiß man, warum sich Gounods „Faust“ beim breiten Publikum stets größter Beliebtheit erfreute. Billy, einer der profundesten Kenner des Faches, nimmt die französische Oper ernst, täuscht aber auch keine Abgründe vor, wo keine sind. Auch wenn das hierzulande Schimpfwörter sind, die französische Oper des 19. Jahrhunderts ist nun einmal zuallererst dem Wohlklang verpflichtet, sentimental und leicht, hat nicht die grüblerische Tiefe der deutschen oder den inbrünstigen Schmelz der italienischen Oper – aber daran ist nichts Verwerfliches.

„Der Regisseur muss über die Autorität verfügen, die Hauptdarsteller in die Schranken zu weisen, auch wenn es sich um ein ‚Traumpaar‘ der Oper handelt. “

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