Dieser Krieg bleibt ein Sündenfall

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Nicht durch ständige Kritik an der Regierung, sondern durch "konstruktive Herangehensweise" an die Probleme will SP-Vorsitzender Alfred Gusenbauer punkten. Eine "nationale Kraftanstrengung" fordert er nicht nur bei der Pensionsreform, sondern auch für die Irak-Hilfe. Den reformorientierten finnischen und schwedischen Sozialdemokraten fühlt er sich am nächsten.

Die Furche: Herr Dr. Gusenbauer, haben Sie sich schon ausgerechnet, wie viel Sie durch die geplante Pensionsreform verlieren?

Alfred Gusenbauer: Ich werde genauso viel wie alle anderen verlieren. Ich gehöre nicht zur Generation der Altpolitiker, sondern zu denen, die in das ASVG-System und in eine Pensionskasse einzahlen.

Die Furche: Was ist Ihr Hauptkritikpunkt an dieser Reform?

Gusenbauer: Der Pensionsreform-Entwurf der Regierung schafft das existenz- und lebensstandardsichernde Pensionssystem in Österreich ab. Die Nettoersatzrate der Pensionen wird auf 50 bis 60 Prozent des Berufseinkommens gesenkt. Damit wird die Bevölkerung gezwungen, private Vorsorge zu treffen, unabhängig davon, ob sich das die Betroffenen auch leisten können.

Die Furche: Braucht es nicht deswegen jetzt derart drastische Einschnitte, weil sich frühere Regierungen, bis auf die vorige SP-geführt, vor wirksamen Reformen gedrückt haben?

Gusenbauer: Das ist falsch. Der Pensionsaufwand der Republik Österreich entwickelt sich so, dass der Beitrag des Bundes im Jahr 2007 geringer sein wird als heute. Das heißt, die Pensionsreformen 1997 und 2000 zeigen positive Wirkungen. Wir haben kein akutes Problem der Pensionsfinanzierung. Die Probleme entstehen dann, wenn die "Babyboomer-Generation", die um das Jahr 1960 geboren wurde, in Pension geht.

Die Furche: Wie wollen Sie dieses Finanzierungsproblem dann in den Griff bekommen?

Gusenbauer: Unser derzeitiges Pensionssystem führt zu einer Nettoersatzrate von 90 Prozent. Das können wir nicht aufrecht erhalten. Unser Vorschlag lautet deswegen: Wenn wir ein einheitliches System - von den Bauern über die Arbeiter und Angestellten bis zu den Beamten - machen, sichern wir ein existenz- und lebensstandardsicherndes System mit einer Nettoersatzrate von 80 Prozent. Dieses Pensionsniveau ist ein wenig bescheidener, wird aber im internationalen Vergleich immer noch ein sehr hohes sein. In einer nationalen Kraftanstrengung mit allen Parlamentsparteien und den Sozialpartnern könnte dieses gerechte Pensionssystem erarbeitet und schon im kommenden Jahr wirksam werden. Dafür biete ich der Regierung eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament an. Zuvor muss aber der jetzige Pfuschentwurf weg.

Die Furche: Protest gegen die Pensionsreform allerorten, die Regierungsparteien zeigen sich überdies - nicht nur - in dieser Frage zerstritten: eigentlich herrliche Zeiten für die Opposition. Die SPÖ kann daraus trotzdem nicht wirklich Kapital schlagen ...

Gusenbauer: Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten sich nicht von uns, dass wir ständig die Regierung kritisieren, sondern sie wollen, dass wir Schritte unternehmen, damit ihnen der Wegfall ihrer Pensionen erspart bleibt. Journalisten sind am tagespolitischen Ping-Pong interessiert, aber die Bevölkerung fragt nach der Lösung ihrer Probleme. Ich bin der Meinung, die Saat unserer konstruktiven Herangehensweise wird aufgehen.

Die Furche: Eine "nationale Kraftanstrengung" fordern Sie auch für die Bewältigung der Kriegsfolgen im Irak ...

Gusenbauer: Österreich soll sich nicht am Wiederaufbau beteiligen, das müssen jene machen, die das Land zerstört haben. Unsere Rolle sehe ich im humanitären Bereich. Beispielsweise könnten alle Parlamentsparteien gemeinsam mit der Regierung, den Hilfsorganisationen und dem ORF eine Plattform bilden - ähnlich der Aktion "Nachbar in Not" - und Hilfe organisieren.

Die Furche: Aus den Fenstern der SPÖ-Parteizentrale in der Löwelstraße hängen die regenbogenfarbenen Friedensfahnen. Hat der schnelle Zusammenfall des Saddam-Regimes nicht so manche Kritik am Vorgehen von Washington und London obsolet gemacht?

Gusenbauer: Absolut nicht. Dieser Krieg bleibt ein Sündenfall. Die Anwendung von militärischer Gewalt ist die gravierendste Entscheidung, die man in der Politik zu treffen hat, diese Entscheidung muss sich jeder Politiker möglichst schwer machen. Im Falle des Irak habe ich aber den Eindruck, dass es sich die USA nicht sehr schwer gemacht und keineswegs alle Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktlösung ausgenutzt haben.

Die Furche: Der britische Premier und Sozialdemokrat Tony Blair war der Willigste in der Koalition der Kriegswilligen. Ist dieser Krieg somit auch ein Sündenfall für die europäische Sozialdemokratie?

Gusenbauer: Ich teile die Position von Tony Blair überhaupt nicht, und die europäische Sozialdemokratie hat in ihrer überwiegenden Mehrheit eine andere Auffassung als der britische Premier. In seiner eigenen Partei gab es heftigen Widerstand gegen den Kriegskurs. Blair hat sich durchgesetzt, das ändert nichts an meiner Meinung: Es war falsch diesen Krieg zu beginnen, dessen negative Auswirkungen noch lange fortwirken werden.

Die Furche: Welche negativen Konsequenzen aus der Irak-Krise fürchten Sie für die Europäische Union?

Gusenbauer: Die EU erlebt derzeit Licht und Schatten. Das Licht besteht darin, dass es gelingen wird, die Erweiterung zu vollziehen. Den Schatten erleben wir in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die nicht mehr ist als ein Scherbenhaufen.

Die Furche: In der Ahnengalerie der SPÖ-Vorsitzenden in Ihrem Büro hängt an Ihrem Platz das Bild einer roten Nelke. Wofür soll denn diese Nelke des Alfred Gusenbauer stehen, wo ordnen Sie sich ein im breiten Spektrum der europäischen Sozialdemokraten?

Gusenbauer: Ich lasse mich nicht nach "soundsoviel Prozent Blair, soundsoviel Prozent Schröder usw." definieren. Ich gehe einen eigenständigen Weg, stehe aber nicht an zu sagen, dass die engste Verwandtschaft zwischen der skandinavischen und der österreichischen Sozialdemokratie besteht. Der Reformweg, den die finnische und die schwedische Sozialdemokratie gehen, ist dem unsrigen am nächsten.

Das Gespräch führten Wolfgang Machreich und Rudolf Mitlöhner.

Gelber Steirer für roten Niederösterreicher

Das Wahljahr 2002 verlief nicht ganz nach dem Geschmack Alfred Gusenbauers. Dem Weinjahr kann er deutlich mehr abgewinnen, wie er in einem ausführlichen Gastbeitrag für das dieswöchige "profil" erkennen lässt: "duftig, kernig" etwa nennt Gusenbauer die Rieslinge aus Niederösterreich, nachgerade enthusiasmiert aber zeigt er sich von den Steirern - und hier wiederum ganz besonders vom Gelben Muskateller: der "ist heuer (2002; Anm.) absolute Weltspitze".

Manchem an der vielbeschworenen Parteibasis mögen solche Bekenntnisse eines Genussmenschen ebenso unsozialistisch vorkommen, wie etwa Gusenbauers Rede von der "solidarischen Hochleistungsgesellschaft". Die Partei weiß, so hat der Beobachter den Eindruck, noch nicht genau, was sie von ihrem seit April 2000 amtierenden Vorsitzenden halten soll - dafür finden bürgerliche Politiker und Kommentatoren immer wieder ausdrücklich lobende Worte: "Ja mit dem Gusenbauer ginge es schon - aber die SPÖ ..." Gusenbauer selbst, 1960 in St. Pölten geboren, Vater einer Tochter, gewiss der intellektuell prägnanteste SP-Chef seit Bruno Kreisky, scheint durch Zurufe nicht leicht zu irritieren. Zur unumstrittenen Position an der Spitze der Partei fehlt ihm freilich - im Unterschied zum Vorbild Kreisky - bislang noch etwas Entscheidendes: ein Wahlerfolg.

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