Dieser unbändige Freiheitsdrang

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In Deniz Gamse Ergüvens vielfach preisgekröntem Langfilmdebüt "Mustang" setzen sich fünf Schwestern in der ländlichen Türkei gegen die patriarchale Macht ihres Onkels zur Wehr.

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In Deniz Gamse Ergüvens vielfach preisgekröntem Langfilmdebüt "Mustang" setzen sich fünf Schwestern in der ländlichen Türkei gegen die patriarchale Macht ihres Onkels zur Wehr.

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Oscar-Nominierung und César für das beste Spielfilmdebüt sind nur die zwei wichtigsten der zahlreichen Ehrungen, auf die "Mustang" seit seiner Premiere beim letztjährigen Filmfestival von Cannes verweisen kann. Und dieses Debüt der 1978 in Ankara geborenen und in Frankreich lebenden Deniz Gamse Ergüven hat es auch wirklich in sich, reißt mit und versteht es, auch wenn es um brutale Unterdrückung der individuellen Freiheit geht, doch nicht in Resignation und Depression zu versinken.

Der Titel spielt auf das amerikanische Wildpferd an und passt vorzüglich zu den fünf Schwestern Sonay, Selma, Ece, Nur und als jüngste die etwa zwölfjährige Lale. Nah dran ist die Kamera schon am Beginn, wenn Lale, die als Erzählerin fungiert, mit Voiceover in den Film einführt. Mit dynamischen Bewegungen der Handkamera und der Nähe zu den Figuren ist Ergüven nicht nur von Anfang an auf Augenhöhe mit ihren fünf Protagonistinnen, sondern überträgt deren Lebensfreude und Freiheitswunsch auch direkt auf den Zuschauer.

Die Kraft des Zusammenhalts

Unbeschwert tollen diese Teenager in kindlichem Spiel nach dem letzten Schultag vor den Sommerferien auf dem Heimweg mit ein paar Mitschülern am Schwarzen Meer herum. Kein Hauch von Erotik ist dabei, wenn sie sich auf dem Rücken der Jungs durchs Wasser tragen lassen, die nassen Kleider am Körper kleben und das lange Haar im Wind weht. Doch eine Nachbarin, die das Geschehen verfolgt, sieht das anders, meldet das Verhalten der Mädchen deren Großmutter, die sich um die Waisen kümmert.

Harmlos sind aber die Schläge der Oma, die selbst zerrissen ist, einerseits sich hinter die Mädchen stellen will, andererseits aber die öffentliche Meinung im Dorf fürchtet, im Vergleich zur Reaktion ihres Sohnes Erol, des Onkels der Teenager. Dieser entzieht ihnen nicht nur das Handy und die lockere Kleidung, sondern schneidet sie bald auch vom öffentlichen Leben ab, erhöht die Mauern um das Haus und vergittert die Fenster.

Doch den Freiheitsdrang der Mädchen kann er damit nur teilweise unterbinden. Ihr Zusammenhalt ist eine starke Kraft gegen seine patriarchale Macht. Heimlich gelingt es ihnen doch sich hinauszuschleichen und per Bus zu einem Fußballspiel zu fahren und wenn sie auch nicht im Meer schwimmen dürfen, so werfen sie sich eben auf ihre Betten und vollführen dort Schwimmbewegungen: Die Fantasie und die Träume kann niemand einsperren.

Andererseits schlägt die absolute Verfügungsgewalt des Onkels aber auch immer wieder brutal zu. Denn während sich Sonay noch gegen die Zwangsverheiratung wehren und ihren Freund heiraten kann, zerstört der Onkel das Lebensglück von Selma, Ece und Nur auf unterschiedliche Weise.

Bittere Realität in sinnlichen Bildern

Und trotz dieser bitteren Realität taucht Ergüven ihr autobiografisch beeinflusstes Debüt in lichtdurchflutete, sommerliche Bilder, verleiht ihm große Sinnlichkeit und lässt es auch nicht hoffnungslos enden. Denn gerade die kleine Lale findet schließlich mit ihrem Einfallsreichtum und Mut einen Ausweg und kann auf eine befreite Zukunft hoffen.

Lales Perspektive und ihr teils unwissender und langsam erst Einblick in die Realitäten gewinnender Blick verleiht "Mustang" auch seinen ganz eigenen Ton, seine Leichtigkeit trotz des ernsten Themas, sein ungebrochenes Aufbegehren statt Resignation. Poesie und Realität fließen hier zusammen und so unbändig die fünf wunderbar natürlichen Hauptdarstellerinnen agieren, so unbändig ist vielfach auch die Erzählweise von Ergüven. Abrupt wechseln hier Momente des Glücks und der Freiheit mit brutaler Unterdrückung, humorvolle Szenen mit Tragik. Hervorragend unterstützt wird dieser Mix aus Ausgelassenheit und Beklemmung dabei auch durch die Musik von Warren Ellis, doch nie wird die Brutalität des Patriarchats verharmlost.

Mustang

F/TR/D 2015. Regie: Deniz Gamze Ergüven. Mit Doga Zeynep Doguslu, Günes Nezihe Sensoy, Elit Iscan, Togba Sunguroglu. Filmladen. 97 Min.

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