Einmal mehr zeigte Kardinal Christoph Schönborn in der "Pressestunde“ am Palmsonntag, wie sich auch ein Kirchenoberer bewegen kann.
Wahrscheinlich ist es Zufall, dass sich palmsonntägliche Pressestunden im ORF für den Wiener Kardinal zu persönlichen Sternstunden entwickelten. Man erinnert sich ans Jahr 2010, als Christoph Schönborn mitten in der Missbrauchskrise Waltraud Klasnic als Opferschutzanwältin aus dem Hut zauberte. Bei allem, was man im Detail an der Klasnic-Kommission kritisieren mag, ein veritabler Schritt. Man erinnert sich, dass der Kardinal dies mit dem Bibelwort "Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32) begründete.
Vielleicht wird Christoph Schönborn dort am autentischsten, wenn er an die Wurzeln der Botschaft zurückkehrt, die er verkünden will. Es scheint entwaffnend einfach- und klingt doch radikal. Seine Entscheidung, den in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Florian Stangl als Pfarrgemeinderat im Weinviertel zu akzeptieren begründete er damit, sich gefragt zu haben: Was hätte Jesus getan?
Es klingt wie eine Selbsteverständlichkeit - ist es aber nicht. Und man verhehlt sein aufatmendes Seufzen nicht: Warum vermittelt die Kirchenleitung nicht viel öfter, dass sie genau nach solchem Grundsatz denkt und handelt - vom Umgang eines Kardinals mit "ungehorsamen“ Pfarrern bis zu päpstlicher Barmherzigkeit mit wiederverheirateten Geschiedenen. Die Evangelien berichten ja bekanntlich, wie Jesus mit den (Religions-)Gesetzen seiner Zeit verfahren ist - und dass er diese niemals absolut gesetzt hat gegenüber den Nöten und Bedürfnissen der Menschen.
Der kirchliche Gegenwind
Doch schon die Präzisierungen Schönborns nach seinen Pressestunden-Aussagen zeigen, dass es nicht einfach ist, die Richtschnur "Jesus“ so einfach durchzuhalten. An den kirchlichen Normen werde nicht gerüttelt, so Schönborn bei einer Predigt Anfang der Karwoche.
Und der Gegenwind bekannter Provenienz bläst dem Kardinal längst ins Gesicht: Im ORF-Religionsmagazin Orientierung, das eine halbe Stunde nach der Pressestunde on air war, ließ ein gestrenger Wiener Kirchenrechtler keinen Zweifel daran, dass das kirchliche Gesetz einen Pfarrgemeinderat Stangl nie und nimmer zulässt.
Auch auf kath.net, der Internetplattform der Rechtgläubigen, widersprach ein Wiener Pfarrer seinem Kardinal und ließ keinen Zweifel daran, dass er den Fall Stangl in Rom anzeigen wird. Auf der gleichfalls einschlägigen Homepage gloria.tv heißt es: "Rom ist nun gefordert, einige Stühle geradezurücken, den Herrn Kardinal zurechtzuweisen …“
Und dass dann in den Ergüssen der noch viel radikaleren Webseite kreuz.net Schönborn sowieso nur mehr mit sexuell anzüglichen Schimpfwörtern tituliert wird, wäre ja längst ein Fall für den Kadi, wenn es möglich wäre, die anonymen Betreiber dieser Verleumdungen namentlich zu fassen.
Man sollte beim Blick auf die vorösterlichen Worte Schönborns nicht nur bei den innerkirchlichen Fragen sowie bei der Anfechtung der Missbrauchskrise, denen sich der Kardinal zu stellen hat, stehenbleiben. Denn auch in seinen gesellschaftspolitischen Aussagen hat Schönborn diesmal das Terrain diplomatischer Sprache verlassen. Dass er etwa die heimischen Schubhaft-Verhältnisse als "Schandfleck“ titulierte, wurde aus seinem Mund so noch nicht gehört.
Moralisches Gewicht einbringen
Es gibt bei allen Anfechtungen, welchen die katholische Kirche - zu Recht - ausgesetzt ist, Themen, bei denen ihre Glaubwürdigkeit nach wie vor gegeben ist. Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit hierzulande wie global gehört ebenso dazu wie der unbedingte Einsatz für an den Rand Gedrängte - darunter natürlich Flüchtlinge und Asylwerber. Das moralische Gewicht des Kirchenführers ist da ohne Wenn und Aber in die Waagschale zu werfen.
Dass der Wiener Kardinal an jenem Palmsonntag seine Tugenden ausgespielt hat, bietet Anlass zur Hoffnung. Die leidigen Fragen rund um die Kirchenreform würden viel entspannter zu diskutieren - und auch zu lösen! - sein, würden die Beteiligten einander auf der Basis von "Was hätte Jesus getan?“ begegnen. Man sollte dieses Kardinals Tugend wieder und wieder einmahnen.
(Vgl. zum Thema auch den "Kopf der Woche“, Seite 8 dieser FURCHE)
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