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Gesellschaft • Moderne Wanderarbeiter entwickeln ein neues Konzept von Arbeit. Für die Freiheit, auch am Strand produktiv sein zu können, verzichten sie auf Sicherheit.

Es braucht drei Versuche per Skype und Handy, bis die Verbindung endlich steht. Dabei ist Conni Biesalski gerade einmal nicht auf einem anderen Kontinent unterwegs, sondern hat in Berlin ihr Quartier aufgeschlagen. Sie hat vor, hier auch eine Weile zu bleiben - bis sie wieder die Reiselust packt. Die 29-Jährige bezeichnet sich selbst als "Digitale Nomadin“: Die meiste Zeit ist sie in der Weltgeschichte unterwegs. Und das schon seit langem: "Ich war drei Jahre in Salzburg. Das ist der längste Zeitraum in den vergangenen 15 Jahren, den ich an einem Ort verbracht habe“, erzählt sie. Biesalski verdient ihren Unterhalt als selbständige Social Media-Beraterin und durch ihren Reiseblog. Alles, was sie zum Arbeiten braucht, ist ein Laptop und eine funktionierende WIFI-Verbindung.

Ein bisschen holprig ist die Kontaktaufnahme auch mit Patrick Hundt. Er ist derzeit in Laos, und das Internet in seiner Unterkunft lässt kein Skype-Gespräch zu. Ein paar Tage später hat er ein neues Hostel gefunden. "Hier läuft es nicht nach den Regeln, die man in Europa oder in den USA kennt. Hier ticken die Uhren anders“, erklärt er. Auch Hundt ist digitaler Nomade, gestaltet sein Leben aber anders. Zwar arbeitet auch er von unterwegs, derweil sieht er das allerdings nur als Zuverdienst. Immer wieder kommt er länger nach Hause - um den Halt und die sozialen Netze nicht zu verlieren. Dennoch scheint auch er Lunte gerochen zu haben: "Wenn man unterwegs ist, kann man sich nicht mehr vorstellen, die ganze Zeit zu Hause zu sein“, meint er.

Angefangen hatte es bei Hundt damit, dass er aus einer Online-Marketing-Agentur in Leipzig ausgestiegen ist. "Da dachte ich mir: Jetzt ist der Moment aufzubrechen“, erzählt er. "Denn ich wollte immer schon raus und etwas von der Welt sehen.“

Jetzt ist der Moment, aufzubrechen

Gemeinsam mit seinem Bruder betreibt er eine Online-Marketing-Firma, für die er zehn bis 15 Stunden arbeitet, wie er sagt. Dazu kommt ein neues Hobby: Sein Reiseblog, dem er noch einmal zehn Stunden widmet.

Die beiden digitalen Nomaden verbindet noch etwas anderes: Das Reisen brachte sie auf das Konzept des "Minimalismus“. "Das kommt von selbst“, meint Hundt. Denn wenn einem monatelang das reicht, was in einen Rucksack passt, stelle man sich die Frage: Was brauche ich eigentlich wirklich von dem Besitz, den ich zurückgelassen habe? Beide haben alles aufgelöst. Was übrig blieb, hat Hundt bei seinen Eltern am Dachboden gelagert. "Wenn ich zurückkomme, möchte ich noch einmal ausmisten, denn mich halten die Dinge, die ich habe, zurück“, meint er. Auch Biesalski hat "noch ein paar Boxen“ bei ihrer Mutter untergestellt, der Besitz in ihrer derzeitigen Wohnung in Berlin passe in eine Kiste. Biesalski ist genau das enorm wichtig: "Für mich ist es die größte Freiheit, dass ich innerhalb von zehn Minuten meine Sachen packen und abhauen kann.“

Ich will kein Sicherheitsleben

Bei den digitalen Nomaden kommen zwei Dinge zusammen: Das das Internet ermöglicht ihnen überall zu arbeiten, wo es einen WIFI-Anschluss gibt. Außerdem können sie mit dem konventionellen Leben und Arbeiten nur mehr wenig anfangen. "Der krasse Konsum war mir zu viel“, sagt Biesalski. Auch die Arbeit als Angestellte hatte sie alles andere als glücklich gemacht: "Ich habe acht Monate Arbeiten im Büro probiert und gemerkt: Das geht gar nicht.“ Die logische Folge war für sie die Selbständigkeit - warum also nicht im Ausland? "Mir ist die Freiheit wichtig, wählen zu können, wann und wo ich arbeite“, sagt sie.

Auf ihren Homepages sieht ihr Leben sehr idyllisch aus: Immer wieder ist Biesalski mit Computer in der Hängematte an geradezu paradiesischen Stränden zu sehen. "Ich fühle mich am Strand und am Wasser am wohlsten. Aber ich liege nicht jeden Tag in der Hängematte“, räumt sie ein. Prinzipiell könne sie sich überall konzentrieren. "Und ich bin auch diszipliniert genug, um auch am Strand zu arbeiten.“

Ohne Rituale und Routine geht es natürlich nicht. "Ich reise meistens recht langsam“, erzählt Biesalski: "Dann suche ich mir fixe Orte, an denen ich arbeite. Ich kann mir die Routine innerhalb von einer Woche aufbauen.“ Ob man nicht dennoch viel alleine sei und auf Dauer Gefahr laufe, die Kontakte "zu Hause“ zu verlieren? "Klar habe ich soziale Beziehungen, ich baue überall Netzwerke auf und mache neue Freundschaften auf der ganzen Welt.“ In Deutschland habe sie Freunde, die sie noch aus der Schule kenne.

Die Sorge um die sozialen Netze zu Hause wiederum ist für Tim Chimoy genau der Grund, warum er nicht die ganze Zeit unterwegs sein möchte. Der 31-jährige Deutsche ist Architekt und derzeit für drei Monate in Berlin gelandet.

Bis Dezember 2012 war Chimoy vier Monate in Südostasien unterwegs, auch er nimmt die Arbeit gern mit auf Reisen. Anders als Biesalski und Hundt aber will er nicht aus dem Rucksack leben und gestaltet sein Nomadenleben entsprechend: "Ich habe mir in Bangkok ein möbliertes Zimmer genommen und bin von dort aus gestartet. Für mich klappt das besser und macht auch mehr Sinn.“ Auch in Chimoys Biographie wird seine Reiselust deutlich: Er hat in den USA ein Praktikum gemacht, in China gearbeitet und war "eine ganze Weile“ in Helsinki. "Ich habe zu Hause nicht alle Zelte abgebrochen.“ Ein Fixpunkt ist seine Wohnung in Berlin, die er untervermietet, wenn er sich auf den Weg macht. "Da habe ich ein bisschen ein Einkommen und außerdem ein Zuhause“, meint er. Sein nächster Stopp soll Vietnam sein, wo er mit einem Studienkollegen ein Architektur-Projekt plant.

"Viele haben die Vorstellung, dass man in ein Dritte-Welt-Land kommt, in dem nichts funktioniert“, meint Patrick Hundt. "Aber das stimmt absolut nicht.“ Wer meint, dass die Nomaden alles dem Zufall überlassen, der irrt. Alle drei sind versichert und sorgen für ihre Zukunft vor, ebenso für die Zeit auf Reisen, für die alle Ersparnisse auf der Seite haben, um nicht auf einmal vor dem Nichts zu stehen. Zum Thema Pension sagt Biesalski: "Ich spare mehr. Pensionsplan habe ich keinen. Ich gehe nicht davon aus, dass ich irgendwann in Rente gehe“, meint sie: "Die Arbeit ist meine Leidenschaft.“

Tim Chimoy wiederum geht auch hier lieber auf Nummer sicher und hat eine Pensionsversicherung. "Ich bin aber nicht so der Sicherheitsfreak. Ich fahre ein gewisses Sicherheitslevel auf niedriger Schiene“, meint er. Er wolle nicht anfangen ein "Sicherheitsleben“ zu leben, wie er es bezeichnet. "Was, wenn ich mir in 30 Jahren denke: Hättest Du das mal gemacht!“ Der Traum der drei Nomaden: In der Welt leben und arbeiten - am liebsten nur noch an ihren Reiseblogs, so wie das manchen US-amerikanischen Kollegen schon gelingt.

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