Diplomatie als Weg zum Krieg

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Der amerikanische Historiker Gordon A. Craig hat seine klassische Essaysammlung über deutsche Geschichte überarbeitet.

Krieg oder Frieden waren in den letzten beiden Jahrhunderten (und weiter zurück) Dauerprobleme der europäischen Politik.

Das Faszinierende an Gordon A. Craigs Studie über "Krieg, Politik und Diplomatie" in Deutschland und Österreich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis um 1990 liegt nicht zuletzt in der Aufdeckung der Hintergründe von Entscheidungen, die den Verlauf der Geschichte nachhaltig beeinflusst haben.

Craigs Werk, in einer ersten Fassung bereits 1966 erschienen, gilt bereits als Klassiker über diese Periode der deutschen und österreichischen Geschichte. So sieht er etwa einen wichtigen Grund für den Niedergang Österreich-Ungarns im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt in der aristokratischen Tradition des Heeres, wo es auf Familie ankam und nicht auf militärisches Wissen und wo, wie der Autor meint, der Genieblitz eines unbedarften adeligen Offiziers in der Schlacht hoch dekoriert werden mochte, während ein Erzherzog Karl, der auf Wissen und dringend notwendige Erneuerung des Heeres drängte, auf eine unbedeutende Stelle abgeschoben wurde. Ähnliche Schicksale erlitten viele. Noch nach seinem Sturz meinte der Chef des Generalquartiermeister-Stabes Ludwig von Benedek, der damals höchste Offizier der Armee, zur Niederlage von 1866: "Wie hätten wir gegen die Preußen aufkommen können? Wir haben wenig gelernt, und das sind studierte Leute!"

Den Deutschen ihrerseits ging es mit ihren aristokratischen Militärs insofern nicht viel besser, als sie langsam, aber sicher ihren Einfluss auf den König und die deutsche Außenpolitik verstärkten, was nicht unerheblich zur Verschärfung der Gegensätze zwischen den europäischen Mächten, zum Krieg und schließlich zur Niederlage führte. "In der entscheidenden Krise vom Juli 1914" forderte Moltke in einem Telegramm an Conrad von Hötzendorf vom 30. Juli, Österreich müsse sofort gegen Russland mobil machen. "Im Krieg 1939-1945 bot sich ein völlig anderes Bild." Die Militärs wurden aus ihren angestammten Positionen an der Heimatfront und in der Rüstungswirtschaft entfernt. "Parteiorganisationen übernahmen mit Fortgang des Krieges zunehmend Polizei- und Sicherheitsfunktionen" bis hinein in die Offiziersränge.

Der erste Weltkrieg hatte einen tiefgreifenden Wechsel in der Art gebracht, Krieg zu führen. Davon, betont der Autor, wurde auch die Diplomatie betroffen. "Das diplomatische System des 19. Jahrhunderts - mit Europa als Zentrum und beherrscht von fünf sich selbst vertrauenden und fast immer monarchisch regierten Mächten - wurde in einer Massenvernichtung aufgelöst, die in der Geschichte nicht ihresgleichen hatte. "Die Gipfeldiplomatie, "die viel Unstimmigkeiten und viele unvernünftige Hoffnungen in die internationalen Beziehungen brachte", wurde während der Friedenskonferenz in Paris 1919 begonnen. Diplomatie hatte im vorhergehenden Jahrhundert den vordringlichen Zweck, Frieden zu erhalten. Diplomatie wurde nun wieder ein Mittel im Religionskrieg der Ideologien. "Der Zweite Weltkrieg war zu einem sehr großen Teil das direkte Ergebnis der Diplomatie, die in den Jahren zwischen 1914 und 1918 in Gang gesetzt worden war", meint Craig. Danach wurde die Welt "der Ungewissheit des Kalten Kriegs überantwortet".

"Es lohnt sich zu erinnern," schreibt er, "dass die italienischen Stadtstaaten ein funktionierendes System permanenter Botschaften unterhielten, bevor es irgendwelche Großmächte gab". Sie hätten "genaue Berichterstattung für die realistische Abschätzung der Risiken und für effektive Verhandlungen entwickelt, die mit der Zeit von größeren Staaten übernommen wurden und die Basis der Staatsräson oder der Wissenschaft vom Regieren bildeten."

Ein Politiker, den Craig besonders hervorhebt, ist Adenauer, dem er "jene Art von Weitblick, der die Richtung ahnt, die das Rad der Geschichte steuert", zuspricht. "Adenauer war es, der die Vision hatte, dass es europäische Großmächte im alten Wortsinn nicht mehr geben konnte; dass andererseits aber ein Europa entstehen könnte, wenn nur die Staatsmänner es zu schaffen vermochten". Doch Adenauer, stellt der Autor fest, sei ein misstrauischer Mensch gewesen, was dazu führte, dass staatlichen Stellen Informationen vorenthalten wurden, die sie zur Wahrnehmung der deutschen Interessen benötigten. Das treffe auch und vor allem auf die diplomatischen Vertretungen zu. Dieser Zug erinnere an "die fragwürdigsten Charakteristika Bismarcks".

Die Diplomatie habe nicht einfach durch die Haltung Adenauers, sondern durch den Wandel der Öffentlichkeit, den Einfluss der Medien und der neuesten Kommunikationsmittel viel von ihrer Rolle verloren. Heute ist es die Gipfeldiplomatie, die nicht nur bei Internationalen Konferenzen vorherrscht, sondern auch bei den Besuchen von Staatsoberhäuptern in anderen Ländern, wo sie zugleich als Handelsvertreter und Sonderbotschafter für aktuelle Fragen agieren.

KRIEG, POLITIK UND DIPLOMATIE

Von Gordon A. Craig

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001

535 Seiten, geb., öS 253,- / e 34,70

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