Man braucht keine Angst zu haben vor dem Dogma. Angst haben muss man vor dem Dogmatismus. Der entsteht, wenn man christliche Glaubenslehren als sanktionsbewährte "Gesetze" formatiert. "Dogma" wird dann schlicht etwas, woran zu glauben man gezwungen wird. Das war in der Geschichte des Christentums ziemlich lange so.
Christliche Dogmen sind etwas ganz anderes. Sie sind begriffliche Schlüssel zur Entdeckung der Inhalte des Glaubens als Tatsachen menschlicher Existenz. Sie sind beglaubigt durch die Glaubenserfahrungen unserer Väter und Mütter im Glauben. Der Dogmatismus behauptet die Bedeutung des Dogmas, ohne sie erschließen zu können oder auch nur zu wollen.
Natürlich gibt es viele dogmatische Lehren, die Antworten auf menschliche Fragen geben, die sich heute kaum jemand mehr stellt und die deshalb kaum mehr etwas erschließen. Das kann man auch tröstlich finden. Denn es zeigt: Wir müssen unsere Fragen an den Glauben stellen und neue Antworten finden. Das war auch früher schon so, deshalb gibt es immer schon Dogmengeschichte. Unsere Existenz aber verändert sich gerade ziemlich radikal, in jenen neuen Gegenden, in den wir uns zurechtfinden müssen, stellen sich wirklich neue Fragen. Weswegen es um der Tradition willen neue Antworten geben muss.
Tradition sei die "Demokratie der Toten", hat G. K. Chesterton einmal gesagt. Jene, die vor uns glaubten, haben mitzusprechen im großen Glaubens-Gespräch des Volkes Gottes, aber wir müssen das auch, sonst wird der Glauben eine Erinnerung an etwas, was war. Man darf keine vergangene Existenz führen müssen, um den Glauben und das Glauben entdecken zu können.
Karl Rahner soll auf einer USA-Reise einmal einen Sticker gefunden haben, auf dem stand: "A man's best friend is his dogma". Er soll begeistert gewesen sein.
Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz
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