Dostojewski, schau wieder oba!

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"Irrational Man": Einmal mehr stellt Woody Allen in seinem diesjährigen Leinwand-Opus die Frage, ob jedem Verbrechen wirklich auch die Strafe folgt. Joaquin Phoenix brilliert als lebensmüder Philosoph.

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"Irrational Man": Einmal mehr stellt Woody Allen in seinem diesjährigen Leinwand-Opus die Frage, ob jedem Verbrechen wirklich auch die Strafe folgt. Joaquin Phoenix brilliert als lebensmüder Philosoph.

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Es kann doch nicht sein, dass einer, beinah 80, mit fast beängstigender Regelmäßigkeit einen Film pro Jahr dreht. Man muss nicht ein eingefleischter Woody-Allen-Fan sein, um die diesbezügliche Leistung des Oberkomödianten menschlicher Unzulänglichkeiten zu würdigen. Man muss aber offenbar schon ein eingefleischter Woody-Allen-Fan sein, um sein Opus des Jahres 2015, "Irrational Man" also, zu mögen.

Zumindest legt dies ein Gutteil der veröffentlichten Meinung dar, die an dem Film nur wenig gute Haare lässt: "als Krimi unglaubwürdig, als Liebesgeschichte absurd und als Komödie komplett unlustig" - so etwa lautet das Verdikt des Spiegel. Vielleicht war unsereiner ja in einem anderen Film.

Unglaubwürdig? Absurd? Unlustig?

Andererseits lässt obige die Charakteristik tief blicken: Woody-Allen-Filme an sich pflegen, wenn sie als Krimi daherkommen, immer "unglaubwürdig" zu sein, und eine Liebesgeschichte, die nicht absurd ist, hat nicht das Zeug zum Leinwand-Opus des Stadtneurotikers. Man kann "Irrational Man" vielleicht vorwerfen, die Woody-Allen-Versatzstücke einmal mehr zu variieren.

Es stimmt: Die Frage, ob sich ein Verbrechen nicht doch lohnt, stellte Woody Allen filmisch mehrere Male -etwa in "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" 1990, oder 2005 in "Match Point". Und auch Dostojewski oder Martin Heidegger standen schon anderswo bei Woody Allen Pate oder wurden zitiert. Aber das gehört ebenso zu den Allen'schen Markenzeichen wie das nicht mehr ganz moderne Feld der Konversationskomödie, das sich jedoch in "Irrational Man" einmal mehr bewährt. Auf den ersten Blick scheint das Gerede und die vordergründige Handlung einer Colleg-Komödie dahinzuplätschern. Aber das ist nur die falsche Spur, die den Boden für die existenziellen und kriminellen Verstrickungen bereitet, in denen sich Philosophieprofessor Abe Lucas am Ende findet.

Eine hohe Lehranstalt in Rhode Island ist der Schauplatz, auf den es den bekannten Philosophen Lucas verschlägt. Natürlich ist der Professor von den Unwirtlichkeiten des Lebens geschlagen, die auch sein Nervenkostüm in Mitleidenschaft gezogen haben - mag ihm da noch so sehr der Ruf eines Womanizers vorauseilen: Den Flachmann trägt Lucas immer bei sich, und Lebensfreude ist ein Fremdwort für ihn.

Doch auch das College, so erzählt das Genre, ist ein Kosmos aus Liebschaften und Intrigen: Warum soll das im kleinsten US-Bundesstaat anders sein? Da ist die sexuell wie ehelich unerfüllte Kollegin Rita Richards (überzeugend: Parker Posey) und Abe Lucas' beste Studentin Jill (Emma Stone), die den unattraktiven Philosophen heftigst umgarnt und seinetwegen sogar den betuchten Boyfriend links liegen lässt.

Ein moralisch guter Mord?

Da passiert etwas, was den lebensmüden Lucas wieder mit Kraft erfüllt: Er und Jill erlangen eher zufällig Kenntnis von einem Richter, der ein Ekel von Mensch ist. Und Lucas denkt darüber nach, wie es wäre, wenn man diesen Abschaum an Person um die Ecke bringt. Eine moralisch gute Tat, wie der Philosoph überzeugt ist, gepaart mit dem Kitzel, ob er - der verstiegene Professor - in der Lage ist, den perfekten Mord zu begehen. Man darf ihm dabei zuschauen, wie ihm das gelingt - und auch Hexenmeister Woody Allen, wie er es diesmal anlegt: Kommt ein Täter wie in den zuvor genannten Filmen nun davon - oder doch nicht?

Derartiges Setting erfindet Woody Allen in "Irrational Man" zum wiederholten Mal schlüssig. Und wer dem weniger abgewinnen kann, den sollte zumindest die Darstellung des Abe Lucas durch Joaquin Phoenix zufriedenstellen, der hier zweifelsohne in einer exzellenten Performance agiert.

Irrational Man

USA 2015. Regie: Woody Allen. Mit Joaquín Phoenix, Parker Posey, Emma Stone. Warner. 95 Min.

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