Drama mit einem unerbittlichen Ende

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Es ist auch eine Haltung, die der ungarische Regisseur Benedek (Bence) Fliegauf mit dem Filmtitel ausdrückt: "Just the wind” erzählt die Chronik eines angekündigten Mordes im Roma-Milieu, und Fliegauf bemüht sich dabei offensichtlich, keine Position zu beziehen. Motiv ist ihm die Mordserie an Roma-Familien in Ungarn 2008/09. Fliegauf informiert darüber am Anfang des Films durch ein schriftliches Insert, das also das narrative Gerüst vorgibt und von Beginn klarmacht, dass der Film nur für sein Ende existiert. Es mag ihm nicht bewusst gewesen sein, dass dies für den ganzen Film sofort eine Konstruiertheit erzeugt; für ihn und wohl auch für viele Zuseher - "Just the Wind“ gewann den Großen Preis der Jury bei der Berlinale 2012 - mindert dies nicht die Kraft dieser Arbeit.

In naturalistisch anmutender Weise verfolgt Fliegauf einen Sommertag in einer Roma-Familie, nach dem nichts mehr wie vorher sein wird - oder doch. Die Mutter einer Tochter und eines Sohnes, beide im Teenager-Alter, arbeitet hart. Ihr Job ist schlecht bezahlt und mühsam obendrein. Sie leben in einem schäbigen Verschlag, inmitten einer schäbigen Siedlung in der ungarischen Einöde. Die Tochter hat keinen Anschluss in der Schule, der Sohn geht erst gar nicht hin, sondern verbringt seine Zeit mit Streunen und Stehlen.

Porträt einer Familie

Es ist blankes Elend, das Fliegauf hier abbildet, auch wenn er sich darum bemüht, es nicht so wirken zu lassen und es sozusagen artistisch kaschiert. Wie ein Mosaik, das dem Zuseher die Zusammensetzung (sprich: die Interpretation) seiner Teile, auch des Ganzen, überlassen will, setzt er sein Porträt dieser Familie, dieser Gemeinde und seinen Zugang zu einem brisanten Thema um: Es dominieren extreme Close-ups, etwa auf die Schuhe der Tochter im Staub, während sie auf den Bus wartet; Staub der aufgewirbelt wird, wenn sie diesem Bus nachlaufen muss, weil er für das Romakind wie widerwillig erst ein paar Meter weiter anhält. Nahaufnahmen der Gesichter, Augen, Hände der Protagonisten lassen die Blicke, die Gesten und die unausgesprochenen Gedanken lesen und ihre Reaktionen auf ihre raue, bedrohliche Umgebung nachfühlen.

Diese Bilder sollen und wollen einen Sog erzeugen, und sie können durchaus erreichen, dass man die Figuren nicht mehr als "Roma“ bezeichnen will, so als wären sie bloß flüchtige Gesichter einer einzigen Masse. Fliegauf will ihre Erfahrungen nachempfindbar machen; dabei arbeitet er - visuell wie semantisch - mit vielen Unschärfen, die sich aus den Close-ups ergeben und die natürlich aber auch Ausdruck seiner Haltung, seiner eigenen Perspektive sind. Das kann man als ehrenwert auffassen, paradoxerweise lässt dies aber wiederum nur seinen Blick, also die bewusst unscharfe, scheue, erratisch wirkende Sicht zu, die angesichts des Themas fast unangebracht kokett wirkt. Fliegaufs doppeltes Interesse an der Vermittlung subjektiver Erfahrung gepaart mit der Bereitstellung der Möglichkeit objektiven Erkenntnisgewinns geht bis zum Ende nicht in die eine oder andere Richtung auf. Das heißt, bis ihm der angekündigt unerbittliche Ausgang die Entscheidung abnimmt.

Just the wind (Csak a szél)

H/D/F 2012. Regie: Benedek Fliegauf. Mit Katalin Toldi, Gyöngyi Lendvai. Stadtkino. 91 Min

Kritik zu "Die Jagd“: Seite 12 dieser FURCHE.

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