"Dreht sichs um die Sau?"

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Die Frau eine sprechende Ware, der Mann ein Fleischhauer. Zur Ökonomie der Geschlechter bei Ödön von Horváth.

Apropos Geschichten aus dem Wiener Wald: Es ist nicht die Moral des Geschlechterverhältnisses, die Ödön von Horváth auf die Bühne stellt, sondern der ihm innenwohnende Horror des Augenblicks, den er gestaltet. Gerade deshalb geht von dem Stück bis heute etwas zutiefst Beunruhigendes aus, eine Unruhe, die man (und frau) auch dann nicht los wird, wenn man oder frau sich despektierlich über oder neben die entworfenen Figuren stellt. Im Inneren der Horváthschen Figuren schlummert ähnlich wie bei Kafka ein Tier, nur verwandelt sich bei Horváth anders als bei Kafka kein Mensch jemals in ein wirkliches Tier. Bei Horváth spricht das Tier aus dem Menschen, ohne dass sich das Aussehen der Figur im Geringsten verändert. Der Fleischhauergehilfe Havlitschek beispielsweise, der vielleicht wirklich eine "Sau" ist, kann wie eine Sau sprechen, ohne dass ihm ein Schweinsohr wächst. So wird - beispielsweise in jener grausig-ergreifenden Szene, in der sich Havlitschek in vertrauensvoller Weise an seinen Chef Oskar wendet - immer nur über die Sau gesprochen, und zwar über jene andere weibliche Sau, die der Mann selbst mit Sicherheit nicht zu sein glaubt:

Havlitschek: Darf ich einmal ein offenes Wörterl reden, Herr Oskar?

Oskar: Dreht sichs um die Sau?

Havlitschek: Es dreht sich schon um eine Sau, aber nicht um dieselbe Sau. - Herr Oskar, bittschön, nehmens Ihnen das nicht so zu Herzen, das mit Ihrer gewesenen Fräulein Braut, schauns, Weiber gibts wie Mist! Ein jeder Krüppel findt ein Weib und sogar die Geschlechtskranken auch! Und die Weiber sehen sich ja in den entscheidenden Punkten alle ähnlich, glaubens mir, ich meine es ehrlich mit Ihnen! Die Weiber haben keine Seele, das ist nur äußerliches Fleisch! Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln, das ist ein Versäumnis, sondern man soll ihr nur gleich das Maul zerreißen oder so!

Das Tier im Mann

Was sich im Inneren der Figuren abspielt und worauf sie festgelegt sind, kommt bei Horváth gerne in der Phrase einer animalen Natürlichkeit daher, obwohl es für den Autor zumindest in der Frühphase seines Schreibens als ausgemacht galt, dass der tierische Kern der Leute wohl eigentlich ein gesellschaftlich Bedingtes ist. Am besten geht man, um den Ansatzpunkt zu verstehen, gleich zu Karl Marx zurück. In dem berühmten Abschnitt aus dem Kapital, in dem er den Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis beschreibt, stellt Marx sich die spekulative Frage, wie es wohl aussähe, wenn die Ware nicht nur ständig stumm herumstehen, sondern zu sprechen beginnen würde. Der Ort, von dem aus sie das tun könnte, wäre vollends paradox, weil in ihm der Naturalwert, also das, was die Ware von sich aus ist, und ihr Gebrauchswert, also das, was sie am Marktplatz einbringt, in einem beständigen Clinch liegen würden. Die Ware, so Marx, scheint ja nur auf den ersten Blick ein "alltägliches" Ding zu sein, in Wahrheit ist sie ein sehr "vertracktes", voll von "metaphysischer Spitzfindigkeiten" und "theologischen Mucken". Um den Bogen, den ich zu spannen versuche, vorwegzunehmen: Mit dem Fräulein bei Ödön von Horváth verhält es sich genau so: Es ist ein vertracktes Ding nicht aus sich selbst heraus, sondern indem das Gesellschaftliche einwirkt.

Das Fräulein wird zur Ware

Karl Marx hat die Sache anhand eines Tisches beschrieben. Wenn Holz zur Ware wird, passiert demnach Folgendes: "Die Form des Holzes [...] wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinär sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen anderen Waren gegenüber auf den Kopf, und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne."

Bei Ödön von Horváth fängt nicht der Tisch, sondern das Fräulein zu tanzen an. Sie tut es aber genau in dem Moment, den Marx als den Übergang vom Naturprodukt zum Warencharakter beschreibt. "Rhythmische Sportgymnastik" heißt in den Geschichten aus dem Wiener Wald der Euphemismus für die Zurschaustellung des eigenen Körpers. In einem der entscheidenden Momente des Stückes erscheint Marianne auf der Bühne des Maxim in eine Skulptur eingepasst, die sich zynischerweise Die Jagd nach dem Glück nennt und die zur Musik von Schumanns Träumerei eine Gruppe nackter Mädchen zeigt, die sich auf der Jagd nach einer goldenen Kugel gegenseitig niedertreten; auf dieser Kugel steht das Glück dann auf einem Bein. Wörtlich heißt es in der Regieanweisung: "das Glück ist ebenfalls unbekleidet und heißt Marianne."

Allegorisierung, Fetischisierung und Warencharakter feiern in der Szene ein Fest, nur um eines geht es mit Sicherheit nicht: um die Frau selbst. Der Kampf zwischen Natur und Kultur, in dem bei Horváth mit einem so grenzenlos leidenschaftlichen Einsatz gerungen wird, ist entschieden: Jetzt ist das Fräulein nackt, damit aber bezeichnenderweise ihrer Natur beraubt.

Anfang der 1930er Jahre, als Horváth auf der Grundlage eines ganzen Textclusters von Entwürfen und Vorstufen an den Geschichten aus dem Wiener Wald schrieb, hat sich auch Walter Benjamin eingehend mit dem Thema beschäftigt: Die sprechende Ware im Sinne von Karl Marx sah er im Gesicht der Hure personifiziert. In der Frau, die sich prostituiert, fängt für Benjamin die Ware nicht nur zu sprechen an, es schaut sich in der Prostituierten die Ware selbst ins Gesicht. Die feministische Theorie der 1970er Jahre, die zur "Hure" eine weniger mythisch-messianische Beziehung hatte als Benjamin und die, um die Fetischisierung zu beschreiben, ihrerseits an das grundlegende Marx-Zitat anknüpfte, hat dargelegt, dass sich in dem Blick der sprechenden Ware auf sich selbst gerade kein Subjekt mehr konstituiert, sondern nur noch eine Leerstelle des Diskurses bezeichnet. Luce Irigaray beschreibt in ihrem Aufsatz Frauenmarkt das neue Verhältnis von Mann und Frau: Die Frau ist die Ware, die gehandelt wird, und der Mann hält die Ökonomie des Begehrens, also den Tausch, in Gang.

Genau nach diesem Muster sind bei Horváth die Rollen verteilt. Die Zirkulationsbewegungen führen im Kreis herum, weil es der Fluss der Waren ist, den sie simulieren. Der Körper des Fräuleins ist in zwei unversöhnliche Körper geteilt: in den natürlichen Körper und den gesellschaftlich produzierten, austauschbaren, der letztlich nur ein mimetischer Ausdruck männlicher Werte ist. Walter Benjamin glaubte offenkundig an die Möglichkeit, diesen weiblichen Schizo-Körper in der Allegorie mit sich selbst versöhnen zu können. Wie eine solche Allegorie aussieht, führt Horváth in der Maxim-Szene vor: Das Glück ist kein Vogerl mehr, sondern eine nackte Frau, die auf einem Bein stehend auf einer goldenen Kugel tanzt.

Die nackte Frau verstummt

Bezeichnenderweise fällt Marianne dann auch genau in dem Moment von der Kugel herunter, als die Trafikantin Valerie und wenig später ihr eigener Vater sie erkennen. Die patriachale Familienstruktur entzieht die Ware der Zirkulation, gibt dem Fräulein aber nichtsdestoweniger ihren natürlichen Körper zurück. Letztlich ist es auch hier nichts anderes als ein Tauschprozess, der stattfindet. Marianne entwindet sich der Hand des amerikanischen Misters, die sich in der Szene nach ihr streckt, um umso sicherer in die Hand des Fleischermeisters Oskar zu gelangen, den ja nicht sie sich, sondern ihr Vater ausgesucht hat.

Am Ende des Stückes steht das Fräulein stumm auf der Bühne, weil es angesichts der familiären Bande, in die es nun doch noch geraten ist und angesichts der Tatsache, dass ihre letzte Hoffnung, nämlich ihr kleiner Sohn Leopold, tot ist, rein gar nichts mehr zu sagen hat: Eine Nullstelle des Diskurses, für die die Theorie erst Jahrzehnte später eine entsprechende Formulierung gefunden hat und die auf der Bühne bis heute eine unverminderte Wirkung entfaltet.

Der Autor leitet ein Projekt zur Vorbereitung einer kritisch-genetischen Ausgabe Ödön von Horváths.

Horváth-Tage

"Ein Fräulein wird verkauft" lautet der Titel der Wiener Ödön von Horváth-Tage 2005 - in Anspielung an eines der weitgehend unbekannten frühen Dramenfragmente, die unter diesem Titel als Suhrkamp-Taschenbuch erscheinen. In Vorträgen, Lesungen und Gesprächen geben die Horváth-Tage Einblick in die lange Entwicklungsgeschichte der Horváthschen Fräulein-Figuren - ermöglicht durch den Horváth-Nachlass im Österreichischen Literaturarchiv.

Freitag, 17. Juni, 16-20 Uhr Vorträge, 20 Uhr "Magazin des Glücks".

Franz Schuh liest Ödön von Horváth

Samstag, 18. Juni 13-18 Uhr Vorträge. 18 Uhr: "Mein Horváthscher Lieblingssatz" - Diskussion mit Ulf Bierbaumer, Georg Büttel, Gustav Ernst und Julia Danielczyk.

20.30 Uhr: "Sechsunddreißig Stunden". Solostück nach Ödön von Horváths Roman. Es spielt Angela Hundsdorfer.

Kartenreservierung für Lesung (Zählkarten) und Theateraufführung

(Eintritt e 15,-) unter 01/5865222, Info zum Programm unter lit@onb.ac.at

oder 53410-327 (Herr Seda)

Veranstaltungsort: Theater Gruppe 80, Gumpendorferstraße 67, 1060 Wien

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