Drei Frauen im Bürgerkrieg

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Somalia, Ende der 1980er-Jahre: Nadifa Mohamed zeigt in ihrem Roman "Der Garten der verlorenen Seelen“ eine sich auflösende Gesellschaft - und starke Gestalten.

Die Frauen seien zum Rückgrad der somalischen Gesellschaft geworden, sagte Nuruddin Farah einmal in einem Interview. "Die Männer verbringen fast die ganze Zeit damit, nutzlos herumzustehen und über Politik zu reden.“ In seinen Romanen gab der somalische Autor Frauen daher stets entsprechend gewichtige Rollen. Mit Nadifa Mohamed ist nun eine weibliche Stimme aus Somalia zu lesen, auch sie lebt allerdings - wie viele afrikanische Autoren, deren Werke übersetzt werden und international Beachtung finden - nicht mehr in ihrer Heimat. Als Kind kam die 1981 in Hargeisa geborene Autorin mit ihrer Familie nach London, sie studierte in Oxford Geschichte und Politik und schreibt auf Englisch.

Mit ihrem Roman über drei Frauen, die drei Generationen und drei völlig verschiedene Herkünfte und Ausgangsbedingungen verkörpern, führt Mohamed in den brutalen Alltag eines Landes kurz vor und zu Beginn des Bürgerkrieges: ins Somalia Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Älteren erinnern sich noch an die nationale Freude, als die Briten am 26. Juni 1960 das Land verließen und es daraufhin erste somalische Schulbücher, sogar eine eigene Fluglinie gab. Doch der Nationalstaat brachte nicht nur Glück: "Es war der Stern, der den ganzen Kummer verursacht hatte: Jener fünfzackige Stern auf der Flagge - jede Spitze stand für einen Teil des somalischen Vaterlandes - hatte zum Krieg mit Kenia und später mit Äthiopien geführt, hatte das zerstörerische Verlangen befeuert, Landstriche zurückzuerobern, die seit Langem verloren waren. Die letzte Niederlage veränderte alles. Nach 1979 richteten sich die Waffen von außen nach innen, auf die Somalier; die Wut gedemütigter Menschen feuerte über die Haud-Wüste hinweg zurück.“ Ende der achtziger Jahre lässt sich Somalias Präsident jedes Jahr am 21. Oktober, dem Tag seiner Machtübernahme, mit großen Paraden feiern. Mit einer solchen Inszenierung in der Stadt Hargeisa setzt Mohameds Roman "Der Garten der verlorenen Seelen“ ein.

Masse und Macht - und Widerstände

Da soll Deqo, das Flüchtlingsmädchen, mit anderen vor Tausenden von Zuschauern tanzen. Es will aber nicht gelingen, sie kann einfach nicht - und muss Schläge dafür einstecken. Da spuckt die wohlerzogene Witwe Kawsar vor dem Bild des Diktators aus und eilt herbei, um dem Flüchtlingskind zu helfen. Das bringt sie selbst ins Gefängnis, wo die Soldatin Filsan ihr die Hüfte brechen wird. Diese will ihren Anteil an der Staatsmacht leisten - ihre Karrierechancen sinken freilich, weil sie sich gegen die sexuellen Belästigungen des Generals Haaruun zur Wehr setzt.

Der Roman beginnt also mit Masse und Macht, aber auch mit kleinen Auf- und Widerständen. Dabei könnten die Frauen nicht unterschiedlicher sein: Kawsar, die den General für den Tod ihrer Tochter verantwortlich macht, die sich nach ihrem Gefängnisaufenthalt umgebracht hat, stammt aus einer Familie, in der man nie Hunger leiden musste. Deqo schläft in einer Tonne und lebt von gesammeltem Obst, das sie auf dem Markt verkauft. Dass der sozialistische Präsident für sein Volk sorge wie ein Vater: Das glaubt die Prostituierte Nasra nicht, bei der Deqo kurz Unterschlupf findet und dabei auf Nasras Kolleginnen trifft, die sich "Stalin“ und "Karl Marx“ nennen.

Gesellschaft in Auflösung

Das Land bricht auseinander. "Jetzt sind die Frauen die Familienoberhäupter, auf den Straßen keine Männer, wer nicht im Ausland arbeitet, sitzt im Gefängnis oder ist aufgegriffen und eingezogen worden.“ Erste Gerüchte tauchen auf: "die Regierung wird die Schulen schließen oder Chemikalien in die Wassertanks kippen, um die Bevölkerung gefügiger zu machen, oder ist bereits dabei, die Zerstörung aller Städte und Dörfer im Nordwesten zu planen“. Tote Nomaden werden am Markt vom Wagen geworfen, auf den Straßen ziehen Panzer und Soldaten auf. Kinder rebellieren und werden in Krankenhäusern wie Wasserhähne benutzt und ausgeblutet, "die Soldaten werden die Straße in eine Wüste zurückverwandeln, die Sterne ausknipsen, die Hunde erschießen und die Sonne in einem Brunnen löschen.“

Dicht beschreibt die Autorin Alltag und Beweggründe von Frauen inmitten einer sich auflösenden Gesellschaft und erzählt damit somalische Geschichte, die sich in Zeittafeln nicht findet. Am Ende kippt der beeindruckende Text leider, denn Mohamed versucht eine Liebesgeschichte anzudeuten und will zudem alle drei Frauen in einem Schlussbild versammelt sehen. Letzteres wäre gar nicht nötig, da die Lebenswege der drei in diesem Roman ohnehin verwoben waren, und ersteres gerät zu einem peinlichen Abklatsch jener Liebesromane, in denen Frauen schmachtend an die Brust des Mannes sinken. Würde man das Buch hier, irgendwo am Ende, aufschlagen und über solche Passagen stolpern, könnte daher passieren, dass man gar nicht erst zu lesen beginnt. Damit brächte man sich aber um ausdrucksstarke Bilder und Sätze - und um Blicke in eine wenig bekannte Geschichte.

Der Garten der verlorenen Seelen

Roman von Nadifa Mohamed Aus dem Englischen von Susann Urban C. H. Beck 2013

269 Seiten, gebunden, e 20,60

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