Der langjährige Solocellist Franz Bartolomey, seit Kurzem in Pension, hat ein Buch über sich und seine philharmonischen Vorfahren und damit ein Stück der Geschichte des Orchesters geschrieben.
Wiener Philharmoniker zu sein, ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Man weiß es aus vielen Gesprächen mit Mitgliedern des Orchesters, man kennt es aus zahlreichen Büchern. Auch das jüngste davon bildet keine Ausnahme. Ende der letzten Saison hat Franz Bartolomey Abschied von seinem Orchester genommen. Jetzt hat er Bilanz gezogen. Aber nicht, wie man meinen könnte, in einer Biografie oder in Form einer Anekdotensammlung, auch wenn sich von beidem etwas in seiner Publikation findet, sondern in einem so persönlichen wie gleich drei Generationen umspannenden Beitrag zur Geschichte der Wiener Philharmoniker.
Der Grund liegt auf der Hand: Franz III., wie er sich zu Recht in dem Erinnerungsband "Was zählt, ist der Augenblick“ (ein Zitat, das diesmal Nikolaus Harnoncourt zugeschrieben wird) nennt, ist bereits in dritter Generation Mitglied dieses Orchesters. Begonnen hat diese Historie mit seinem vor 120 Jahren von Prag an die Wiener Staatsoper gekommenen Großvater Frantiˇsek Bartolomej, dem man es gar nicht leicht machte, von der Prager an die Wiener Oper und in das Orchester der Wiener Philharmoniker zu wechseln. Er setzte sich aber durch und wurde zu einem der wichtigsten Mitglieder des Klangkörpers, einem auch international hoch geschätzten Klarinettisten, der mit seiner Lehrtätigkeit am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde (der Vorgängerin der Wiener Musikuniversität) zum Begründer der bis in die Gegenwart wirkenden Wiener Klarinettenschule wurde. Mahler war sein wichtigster Direktor an der Hofoper, auch Johann Strauß zählte zu seinen Fans.
Philharmonisch & symphonisch
Über solche verfügte auch sein Sohn, Franz II., und zwar - bis heute eine Sonderheit - gleich bei beiden führenden Wiener Orchestern. Denn nach seiner krankheitsbedingten Pensionierung als Geiger der Philharmoniker, für die er auch als Vize-Vorstand wirkte, machten ihn die Wiener Symphoniker zu ihrem Direktor. Mit ihnen fuhr er, noch in Zeiten des Kalten Kriegs, nach Moskau. Er war auch der Erste, der Kontakte zu Leonard Bernstein pflegte. Überschattet war seine Tätigkeit allerdings durch seine NS-Vergangenheit. Wie schwierig es nach wie vor ist, dabei halbwegs objektive Maßstäbe anzulegen, macht der zu diesem Thema im Buch abgedruckte Aufsatz des Zeithistorikers Oliver Rathkolb deutlich.
Schließlich lässt Franz III. seine eigene philharmonische Laufbahn, die ihn bis zum Solocellisten des Orchesters und weltweit gesuchten Solisten und Kammermusiker führte, pointiert Revue passieren. Er verbindet dabei Erinnerungen mit Gedanken zu Grundsätzlichem wie der heutigen philharmonischen Reisepolitik und - leider nur in einigen wenigen Anmerkungen - der spezifischen philharmonischen Klangkultur.
Was zählt, ist der Augenblick
Die Bartolomeys. 120 Jahre an der Wiener Staatsoper
Von Franz Bartolomey
Mit einem Vorwort von Christian Thielemann
Amalthea Signum Verlag, Wien 2012, 240 S., 24,95
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