Dreizehn Szenen verzweifelter Abgehobenheit

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Meist packendes Musiktheater bescherte die zweite Musiktheaterproduktion der heurigen Wiener Festwochen, Luca Francesconis knapp eineinhalbstündige Oper "Quartett“ nach Heiner Müller, im MuseumsQuartier.

Wie ist es, wenn man ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist, längst den realen Boden unter den Füßen verloren hat, den Partner nicht zuletzt damit nervt, dass man, wie später auch er, in eine andere Identität flüchtet? So lässt sich kurz Heiner Müllers von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos’ Briefroman "Gefährliche Liebschaften“ inspiriertes "Quartett“ beschreiben. Theater, das Intimstes freilegt, immer wieder neue Konflikte aufbaut, folgerichtig in der Katastrophe endet.

Parabel der Selbstzerstörung

Vicomte trinkt ein Glas des von der Marquise vergifteten Weins. Sie selbst, die mit ihren vorigen Anwürfen dieses Ende quasi psychologisch vorbereitet hat, weiß am Schluss nichts mehr anderes zu tun als alles zu zerstören, aus ihrer ihr längst zum Gefängnis gewordenen Wohnung auszubrechen, diese vorher noch zu demolieren und schließlich orientierungslos blutüberströmt auf die Straße zu laufen.

1982 wurde dieser Müller in Bochum uraufgeführt. Interessiert hatte diese Parabel über Selbstzerstörung, wechselnde Identität und Geschlechterrollen Luca Francesconi, den 1956 in Mailand geborenen renommierten Komponisten, immer schon. Warum nicht daraus eine Oper machen, kam es ihm schon vor Jahren in den Sinn. Da traf es sich, dass genau damit das Mailänder Teatro alla Scala an ihn herantrat. Oper im traditionellen Sinn wollte der gerne mit elektronischen Modellen experimentierende Italiener nicht schreiben, vielmehr "eine multimediale Oper, die etwas Neues darstellen soll, die das bekannte Genre hinter sich lässt“.

Seine Antwort auf diese selbst gestellte Herausforderung war bald gefunden: zwei Orchester. Ein Kammerorchester, das die rasanten Episoden dieser schließlich 13 Szenen begleitet und kommentiert, den Zuhörer quasi in die Innensphäre der beiden Protagonisten führt - und dazu ein hinter der Bühne platziertes Orchester, dessen Spiel via Lautsprecher in das Theater übertragen wird, das eine andere Zeit, den anderen Raum symbolisieren soll. In dieser Form wurde das pausenlose, knapp über achtzig Minuten dauernde Stück im April vorigen Jahres auch an der Mailänder Scala unter der Leitung von Susanna Mälkki uraufgeführt. Für die bloß drei Aufführungen in Wien entschied man sich mit dem für zeitgenössische Musik hervorragend ausgewiesenen Peter Rundel an der Spitze des Kammerensembles der Mailänder Scala nicht nur für einen anderen Dirigenten, sondern ersetzte auch die Idee des zweiten Live-Orchesters dadurch, dass man dessen Part zur Gänze vom Tonband übertrug. Eine andere technische Lösung, gewiss aber eine solche, die Francesconis vom sensiblen Flirren bis zu heftigen dramatischen Ausbrüchen reichende, von den elektronischen Möglichkeiten reichlich Gebrauch machende Musik ebenso gültig übermittelte.

Wie überhaupt die Technik eine entscheidende Rolle in dieser Produktion spielt, denkt man an die das Innenleben der Protagonisten suggestiv widerspiegelnden, exzellenten Videoeinspielungen (Franc Aleu). Sie umkreisen den eigentlichen Schauplatz dieser von Àlex Ollé erdachten Inszene: einen inmitten der Bühne platzierten schmucklosen Würfel mit zwei Sesseln und einer Bank als Metapher für das hier angesprochene isolierte Leben in einer Zelle (Bühne: Alfons Flores).

Wucht der Klangmassen

Ein idealer Raum für zwei Singschauspieler, die sich nicht nur über die Wucht der Klangmassen souverän zu erheben wissen, sondern es auch verstehen, die inneren Zwänge und Probleme packend nach außen zu tragen, wie die bereits die Uraufführung prägenden Darsteller Allison Cook und Robin Adams. Ohne ihre Intensität hätte diese Oper gewiss weniger Effekt entfacht, denn Francesconis Musik weist bald Züge von Redundanz auf.

Weitere Termine

31. Mai, 1. Juni

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