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Vielleicht war ja der Valentinstag schuld - dieser Feiertagsimport zum Wohle der Floristen und Süßwarenproduzenten hat sich in den letzten Jahren zum Herzensanliegen missionarisch schwärmender medialer Nervensägen entwickelt, die ihn dem Publikum als Abladeplatz von gutgemeinten Gefühlsüberschüssen empfehlen. Nichts weniger als die allgemeine Menschenliebe sollen die dem Hl. Valentin dargebrachten Opfergaben befördern. Jedenfalls standen Sonntag früh in der altehrwürdigen Ö1-Sendung "Du holde Kunst" nicht Gedichte auf dem Programm, sondern Prosatexte. Das war aus einem offenkundigen Bemühen um Innovation angesichts von siebzig Jahren Sendungsgeschichte in letzter Zeit schon des Öfteren der Fall gewesen, aber diesmal waren die (ja, was?) Sentenzen von tatsächlich haarsträubender Unbedarftheit: Anekdoten ohne Pointe, Rätsel ohne Geheimnis, Parabeln ohne Tiefsinn. Ein Seminarleiter belehrt seine tief beeindruckten Zuhörer, so wie der 20-Dollar-Schein selbst zerknüllt und beschmutzt seinen Wert behalte, so behalte auch der Mensch seinen Wert. Während ich überlege, ob das vielleicht eine Parodie auf pseudophilosophischen Schmus sein könnte, vermeldet der akustische Abspann den Autor: Paulo Coelho. Coelho auf Ö1. Coelho als "Kunst". Als "holde Kunst" gar. Tiefer, nein: seichter geht's nimmer. Und so plädiere ich für den Tiefpunkt als Wendepunkt: zurück zur Lyrik, die sonst im Radio ohnehin nur als Nachtschattengewächs blüht! Allein das Gedicht trägt den zeitlos feierlichen Atem der Sendung, allein das Gedicht vermag den klassischen Musikstücken etwas von Gewicht entgegenzusetzen. Die Gedichte dürften dafür durchaus hie und da in der Gegenwart ankommen. Und wenn es denn unbedingt der Valentinstag sein muss: Da ginge einem angesichts der Weltliteratur nun wirklich nicht der poetische Stoff aus.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

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