Durchkreuzte Diskurse

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Filminstallationen von Harun Farocki im MUMOK zeigen, wie Bilder und Töne mehrfach gelesen werden können.

Die Filmanalyse hat sich schließlich als Kunst ohne Zukunft entpuppt! Offen gestanden ist sie an sich nie etwas anderes als der Gegenstand einer Illusion gewesen", schreibt der französische Altmeister der Filmkritik, Raymond Bellour. Der Grund dafür liegt aber nicht in einer prinzipiellen Unfähigkeit derjenigen, die sich an der Filmanalyse versuchten, sondern vielmehr an der ungewöhnlichen Widerständigkeit des Materials. "Der Theorie ist nicht gelungen", heißt es weiter bei Bellour, "ins Bild zu treten - im Bild zu sprechen, es für sich einzunehmen, im Bild zu leben -, noch viel weniger, als sie es verstanden hatte, das Bild in ihren Worten festzuhalten." Filmanalyse als Versuch, ein hölzernes Eisen herzustellen?

Diese Analyse der Analyse, jener vom Film nämlich, klingt wie eine Einladung, nun den Text, der so etwas wie eine Analyse der Filme von Harun Farocki hätte werden sollen, zu beenden. Vielleicht noch mit dem Aufruf versehen, sich die Filme in ihrer momentanen Präsentation im MUMOK anzusehen und mit einer Gestaltung der restlichen Seite aus einer Abfolge von Filmstills. Damit würde sich zwar ein alter Traum aller Bildgläubigen erfüllen, aber den Absichten von Harun Farocki würde das nicht gerecht, versucht er doch in seiner spezifischen Arbeitsweise alle Tendenzen einer gegenseitigen Vereinnahmung von Bild und Text oder Text und Bild zu unterlaufen. Ein usurpierendes Eindringen in den Bereich des je anderen verbietet er sich, vielmehr gilt es, dem Film als Film zu seinem Recht zu verhelfen.

"In Film denken"

"Nicht etwas in Film übersetzen, vielmehr, in Film denken' - wie es auch heißt, in Begriffen' statt, mit Begriffen' zu philosophieren. Die Überlegung darstellend, nicht das Ergebnis auf die Leinwand kippend." So beschreibt Jörg Becker, von Berufs wegen so etwas wie ein Filmanalyst, die spezifische Vorgangsweise. Bellours Einwurf hat insofern Recht, als jede Analyse, die notgedrungenerweise ausschließlich als "Text in Worten" abläuft, niemals die Forderung von "in Film denken" einholen wird können. Andererseits transportiert aber genau die Analyse diese Aufforderung in einen Raum hinein, der jenseits der aktuellen Präsentationshallen liegt.

Beim Betreten der Ausstellung von Harun Farockis Installation findet man sich zunächst in einem leeren Raum wieder, links geht es in den Raum mit den drei ums Eck projizierten Bildflächen mit den Titel Auge / Maschine, durchnummeriert von eins bis drei, rechts zur Doppelprojektion Vergleich über ein Drittes. Die Zahl Drei spielt also eine Hauptrolle: Drei Räume, einer mit drei Projektionen, der andere holt sich seine Bilder von drei Kontinenten. Daneben entpuppt sich aber die Zwei als noch wichtiger. Jeweils klaffen zwei Bildfelder in den einzelnen filmischen Arbeiten auseinander, haarscharf nebeneinander projiziert, aber ohne sich zu vermischen, werden sie trotzdem als ein Bezugssystem wahrgenommen.

Farocki stimmt mit dem Filmgroßmeister Jean-Luc Godard darin überein, dass es keine einfachen Bilder mehr gibt. Auch die banalen Alltagsbilder sind Teil eines komplexen Systems, ständig fluktuierende Welterscheinungen. Nicht von ungefähr bedient sich Farocki daher der Doppelprojektion. Er verlässt damit den archimedischen Kamerastandpunkt, darüber hinaus beginnt für ihn mit der Zwei bereits die Unendlichkeit, die Parallelstellung der Bildfelder gewährt den prinzipiellen Zugang zu den unendlichen Wirklichkeitserfahrungen, die uns mehr oder minder banale Bilder spenden.

Damit zeigt sich ein zweites entscheidendes Merkmal in der Arbeitsweise von Farocki. Ganz nach der luziden Einsicht von Bert Brecht gegen die Neuigkeitsgier der Moderne, dass "neues zu wollen veraltet ist, neu vielmehr ist, altes zu wollen", verwendet Farocki bereits inszenierte Bilder. Er vermerkt dazu: "Ich komme dazu, Bilder zu nehmen, die es schon gibt, weil die drei Löcher für mein Kamerastativ sowieso schon von anderen Stativen zurückgelassen worden sind im Fußboden. Ein Dokumentarist sagt ja den Leuten nicht, was sie vor der Kamera machen sollen, und darum ist seine Hauptaufgabe beim Drehen, den Standpunkt der Kamera zu bestimmen. Es wird aber immer deutlicher, dass dieser Standpunkt nicht zur Wahl frei ist. Darum bleibt einem ja nichts anders übrig, als die Dinge anders als vorgesehen zu kombinieren, ein Organisationsverfahren zu suchen, in dem die Bilder und Töne mehreren Lektüren unterworfen werden können."

Dinge anders kombinieren

Die eigentliche Arbeit findet damit am Schneidetisch statt, wo Bilder und Töne von Farocki in ein Ensemble von oftmals zwei Bildfelder gefügt werden, sodass jene politisch brisanten Botschaften in den Sichtbarkeitsbereich treten, die sonst zwar da wären, aber unentdeckt blieben.

In den Arbeiten im linken Raum dokumentiert Farocki die Spannung zwischen dem menschlichen Auge und dem künstlichen der Maschine, näherhin Computersystemen, die sich zu zivilen oder militärischen Produktions-oder Destruktionsapparaturen auswachsen. Dass die Funktionsweise dabei im militärischen wie im zivilen Bereich identisch ist, zeigt sich in den filmischen Parallelprojektionen. Man wird daran erinnert, dass der erste Golfkrieg endgültig den Zusammenbruch des authentischen Bildes vollzogen hat, "in den Aufnahmen von Projektilen im Zielanflug waren Bombe und Berichterstatter identisch", wie Farocki erklärt.

Weil alle Bilder computergeneriert sind, gibt es kein wirkliches Unterscheidungsmerkmal mehr zwischen einer seriösen Berichterstattung und einem Propagandafake. Die Raketen tasten ihr Zielgebiet mit den gleichen Bildverarbeitungsprogrammen ab, mit denen in den Fertigungsstraßen der Industrie nach der Ablöse der Handarbeit auch die Ablöse der Augenarbeit vollzogen wird. Der intelligente Blick der Maschine arbeitet präziser, suggeriert die eine Seite, um gleich von Farocki korrigiert zu werden, weil dabei nicht gleichzeitig auch gescheite Lösungen herauskommen.

Bilder menschlicher Arbeit

Im rechten Hauptraum gibt Farocki Einblicke in die Ziegelproduktion in Afrika, in Indien und in Europa. Dabei zeigt sich, dass die einzelnen Arbeitsschritte, vom Anrühren der richtigen Tonmischung, dem Einfüllen in Model bis zum Trocknen beziehungsweise Brennen der geformten Rohlinge, überall mehr oder minder gleich ablaufen. Die konkrete Organisationsform der Arbeit differiert allerdings gewaltig, es liegen nicht nur Kontinente dazwischen, sondern Welten.

Und trotzdem nimmt Farocki keine Bewertung vor, baut keine Hierarchie auf. Hat man als Betrachter mit den Menschen in Afrika Mitleid, weil alles nach einer ziemlichen Schufterei aussieht, so empfindet man ein ähnliches Gefühl mit dem Einzelkämpfer in der europäischen Fabrik ob der herrschenden Fadesse - in Afrika hingegen findet bei der Arbeit noch Kommunikation statt.

Lineare Entwicklungsmodelle haben daher ausgedient, wie Farocki anmerkt: "Man kann nicht mehr glauben, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Afrika kapitalisiert sei und ebenso wenig, dass sich dort Museumsgesellschaften erhalten könnten. Genauso wenig gilt, dass die menschliche Arbeit in Indien erst dann maschinell ersetzt wird, wenn sie teuer ist. Man kann nicht mehr davon ausgehen, dass jede nichtindustrielle Arbeitsform nur eine Vorstufe der industriellen ist." Folgerichtig erzählt Farocki von der Ziegelproduktion nicht mehr in einer Linie, sondern in einer die Unendlichkeit anzeigenden Doppelgleisigkeit.

Daneben trifft sich der Umgang mit dem Ziegel sehr unmittelbar mit der Technik des 16-mm-Films, in dem Vergleich über ein Drittes hergestellt wurde. So wie die einzelnen Ziegel sich zu einer Mauer zusammenfügen, ergibt die Aneinanderreihung von Einzelbildern beim geschwinden Abspielen einen Film. Wo die Mauer einen Haken schlägt, wo sie sich mit einer anderen kreuzt und wie lange sie geradeaus läuft, bleibt dabei genauso offen wie im Film. Hier zeigt sich beispielhaft die Umsetzung der Forderung von, in Film denken'. Viele andere kann man, wie Bellour richtig feststellte, nicht in eine Analyse packen, die lassen sich nur vor Ort erleben.

Harun Farocki

Nebeneinander

MUMOK

Museumsplatz 1, 1070 Wien

Bis 10. 6. Mo-So 10-18 Uhr,

Do 10-21 Uhr

Katalog: Harun Farocki, Nebeneinander. Wien 2007, 140 S., € 19,80 (erscheint im Juni)

Weitere Informationen:

www.farocki-film.de

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