Echte urbane Ignoranz

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Kein Gebäudetyp polarisiert so sehr wie das Hochhaus. Den einen gilt es als Ausdruck von | Modernität, den anderen als Sinnbild verloren gegangener städtebaulicher Maßstäbe.

Mit dem DC Tower 1 und in weiterer Folge mit dem DC Tower 2 erhält Wien nun zwei weitere, ebenso bedeutende wie beeindruckende Landmarks, die als zeitgemäßes Wahrzeichen die Innovationskraft der Stadt weithin sichtbar machen“, hieß es in den Sonderbeilagen und Werbeeinschaltungen in Wiens Tageszeitungen, die den Bau des mit 220 Metern bald höchsten Gebäudes Österreichs seit seiner Grundsteinlegung im Vorjahr begleiten. Allein dieser eine Satz sagt Vieles aus über Wiens städtebauliches Verständnis im Allgemeinen sowie über den Umgang mit Hochhäusern im Speziellen.

Während landauf landab von Nachhaltigkeit die Rede ist - was im Städtebau soviel bedeuten würde, wie Gebäude, Quartiere, ja ganze Stadtteile so kleinteilig und differenziert zu entwickeln, dass Wohnen und Arbeiten, Handel und Gastronomie, Bildung und Soziales, Freizeit und Kultur möglichst stark ineinander greifen können, oder auch, dass die öffentlichen Räume zu Aufenthalt, Kommunikation sowie sozialer Netzwerkbildung animieren -, wird in Wien eine monumentale "Landmark“ errichtet.

Von 120 auf 220 Meter gewachsen

Diese urbanistische Ignoranz spiegelt sich ganz allgemein im Wiener Hochhauskonzept von 2002 wider, das aufgrund seiner Beliebigkeit und Unverbindlichkeit keinerlei steuernde Wirkung entfalten konnte, und zeigt sich konkret an der Genese des DC 1 Tower: Der erste Flächenwidmungs- und Bebauungsplan aus dem Jahr 1995 beschränkte die Höhenentwicklung der Donau City noch mit 120 Metern. Nur sieben Jahre später bat der Generalentwickler der "Platte“, die WED (Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG), den französischen Stararchitekten Dominique Perrault um einen neuen Masterplan, der wunschgemäß zwei Türme mit 160 und 200 Metern Höhe vorsah - und vom Rathaus 2007 eins zu eins in ein neues Plandokument umgesetzt wurde. Kurze Zeit später urgierte die WED - mit Erfolg, aber ohne jede Gegenleistung für die Allgemeinheit -, die Türme mögen doch noch etwas höher, nämlich 175 und 220 Meter werden, zumal sinkende Büromietpreise die erwünschte Rendite bei lediglich 53 und 67 Geschoßen nicht zu gewährleisten schienen.

Fachliche Vorgaben und langfristige Rahmenbedingungen für planungspolitische Entscheidungen werden vom Wiener Rathaus traditionell abgelehnt. So fehlt es seit Jahrzehnten schon an einer dreidimensionalen Vision für die Gesamtstadt, wie sie etwa Zürich in seinem Hochhauskonzept definiert hat. Denn auch wenn sich eine gewünschte Stadtsilhouette nicht verordnen lässt, sollte die städtebauliche Entwicklung dennoch nicht in die Hände von Grundstückseigentümern und Immobilienspekulanten gelegt werden. Dabei fällt auf, dass das sozialistische Wien das Thema Hochhaus viel liberaler handhabt als zahlreiche westeuropäische und selbst US-amerikanische Metropolen - die über den Verdacht nostalgischer Stadtschwärmereien oder investorenfeindlicher Regulierung erhaben scheinen.

Sozialgerechte Bodennutzung

In München, wo nach einem Bürgerentscheid von 2004 kein Neubau mehr die 100 Meter hohen Türme der Frauenkirche überragen darf, unterliegen Hochhausprojekte den Grundsätzen der sozialgerechten Bodennutzung. Das heißt, der Bauherr tritt bis zu zwei Drittel der Wertsteigerung seines Grundstücks an die öffentliche Hand ab - als Gegenleistung dafür, dass er um Vieles höher beziehungsweise dichter als ortsüblich bauen darf. Diese Einnahmen helfen der Stadt, die öffentlichen Leistungen im Zuge eines Großprojekts zu finanzieren - also die Straßenerschließung, die Gestaltung eines Parks oder die Errichtung eines Kindergartens - und kommen so auch den Anrainern des Bauvorhabens zugute.

In Paris wurden Hochhäuser bis in die 1970er Jahre recht bedenkenlos in die historische Stadt gesetzt. Spätestens die 210 Meter hohe Tour Montparnasse führte allerdings vor Augen, wie zerstörerisch maßstabslose Bauten auf die Stadtsilhouette und auf das jeweilige Viertel wirken können. Seither verzichtet die Seine-Metropole, mit wenigen Ausnahmen wie der Bibliothèque Nationale de France, auf neue Turmbauten innerhalb der Stadtgrenze - und konzentriert diese in Hochhaus-Clustern wie der Vorstadt La Defense. In der Kernstadt mit ihren zwei Millionen Einwohnern herrschen restriktivste Baubestimmungen, um das Stadtbild zu schützen.

Auch in London wurden die meisten Hochhäuser an einem peripheren Standort konzentriert - nämlich in Canary Wharf, in den ehemaligen Docklands. Und die Investoren von Großprojekten akzeptieren es, dorthin gelenkt zu werden - sowie für die Baugenehmigung Gegenleistungen zum Wohle der Öffentlichkeit zu erbringen. In den übrigen Teilen der Stadt haben sich die Gebäudehöhen einer Vielzahl von Blickachsen unterzuordnen, die alle - genauestens kartografiert - auf die St. Paul’s Cathedral orientiert sind. Der 111 Meter hohe Kuppelbau war bis in die 1960er Jahre die uneingeschränkte städtebauliche Dominante der britischen Hauptstadt. Durch konsequentes Festhalten an den Sichtkorridoren konnte seine Fernwirkung und damit die gewünschte Stadtsilhouette bis heute bewahrt werden.

Gegenleistungen für die Allgemeinheit

Unterschiedlichste Umgangsformen mit Hochhäusern finden sich in den US-amerikanischen Großstädten, wie die Architektin Silja Tillner in ihrer Studie "Internationale Stadtplanungs- und Hochhauskonzepte“ zeigte.

Während die Bebauungsvorschriften in San Francisco in engem Bezug zur Topografie der auf 49 Hügeln erbauten Stadt stehen, wird die Hochhausentwicklung in Chicago über ein Bonussystem geregelt, das es erlaubt, höher und dichter zu bauen, als im Flächenwidmungsplan vorgesehen. Dafür muss der Bauträger Gegenleistungen für die Allgemeinheit erbringen - die nicht vom Verhandlungsgeschick oder seinen politischen Beziehungen abhängen, sondern in einer für jedermann nachvollziehbaren Tabelle festgelegt sind. So dürfen für die Schaffung öffentlicher Flächen am Grundstück zusätzliche Quadratmeter Nutzfläche errichtet werden - abhängig davon, ob nur der Gehsteig verbreitert oder ein ganzer Park realisiert wird. Auch die anspruchsvollere Gestaltung des Gebäudes kann ein Mehr an Kubatur bringen - ebenso wie Maßnahmen zur Verbesserung des Umfelds: sei es die Investition in die nächstgelegene U-Bahn-Station oder die Restaurierung eines historischen Gebäudes.

In New York bedarf es nicht nur Gegenleistungen für die Allgemeinheit, sondern auch Abgeltungen an die Anrainer, wenn ein Investor höher als ortsüblich bauen möchte. Er muss allen benachbarten Eigentümern, die die maximal mögliche Bauhöhe auf ihrem Grundstück noch nicht ausgeschöpft haben, deren "Luftrechte“ abkaufen - sprich, sie dafür entschädigen, dass sie aufgrund seines Bauvorhabens ihre Häuser nicht mehr weiter aufstocken können.

* Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizistin Wien

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