Ehrengerichte auch für Medien

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In den USA gibt es für Konflikte, die zwischen Journalisten und Medienunternehmen auftreten, eigene "ethics officers". Ein Modell auch für Europa?

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In den USA gibt es für Konflikte, die zwischen Journalisten und Medienunternehmen auftreten, eigene "ethics officers". Ein Modell auch für Europa?

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dieFurche: In Fachkreisen sind Sie bekannt für die These, daß Medienethik nur als Wirtschaftsethik denkbar sei. Was verstehen Sie darunter?

Matthias Karmasin: Ich meine eine Ethik, die sich nicht auf materielle, sondern auf formale Normen stützt, ähnlich den "sentencing guidelines", die in den USA zu einer Ethisierung des Wirtschaftslebens beigetragen haben: ethische Normen werden im Unternehmen institutionalisiert und ökonomisch belohnt. Beispiele dafür sind Einrichtungen wie ein Ehrenkodex oder ein Ethik-Ombudsmann, Ethik-Hotlines, Schieds- und Ehrengerichte und so weiter.

Existieren derartige Präventivmaßnahmen in einem Unternehmen, so mindert das die Strafe im Falle eines gesellschaftsschädigenden Verhaltens dieses Unternehmens. In den USA hat sich gezeigt, daß sich Unternehmen ohne derlei Einrichtungen schwerer tun, Aktien zu verkaufen oder eine Versicherung zu finden - nicht deswegen, weil die Anleger oder Versicherungen plötzlich so ethisch orientiert wären, sondern weil ganz einfach das Risiko steigt, daß das Unternehmen im Falle einer Verurteilung mit substantiellen Strafen belegt oder in den Konkurs geschickt wird.

Wie gesagt: bei Einrichtungen dieser Art geht es um Formalnormen. Der Inhalt eines Kodex kann ganz unterschiedlich sein, sozialethisch oder utilitaristisch oder sonstwie motiviert. Der wesentliche Punkt ist, daß ethische Fragen und daraus resultierende Konflikte einen bewußten Ort in der Organisation finden. Und die konkrete Institutionalisierung selbst stellt auch nicht den Endpunkt der ethischen Diskussion dar, sie dient eher dazu, den moralisch-ethischen Lernprozess des Unternehmens in Bewegung zu halten.

dieFurche: Können Sie aus Ihrer Erfahrung mit dem amerikanischen Modell einige Formen dieser Institutionalisierung beschreiben, wie sie in Medienunternehmen vorkommen?

Karmasin: Man hat zum Beispiel die Erfahrung gemacht, daß ethische Kodizes zu reinen Legitimationsverfahren verkommen sind: nachdem man ökologisch war, wurde man sozial und dann halt ethisch - ein Griff zum quasi letzten Triebwerk in der Marketing-Auseinandersetzung. Deswegen ist man dazu übergegangen, Trainings und Diskussionsplattformen einzurichten, um die Menschen mit den ethischen Normen direkt zu konfrontieren; der "ethics officer" wurde bestellt, eine Person, die an der Seite des Unternehmensvorstands derlei Trainings und Diskussionen organisiert und auch mit Entscheidungskompetenz für Konfliktsituationen ausgestattet ist.

Wenn ein Mitarbeiter einer Zeitung beispielsweise unter Druck gesetzt wird, eine bestimmte Geschichte zu schreiben, die einen großen Anzeigenkunden zufriedenstellen soll, dann kann er mit diesem Problem zum ethics officer gehen. Immer häufiger gibt es auch Ombudsleute in den Medienunternehmen, die die Aufgabe haben, die Berichterstattung des Mediums kritisch zu begleiten und zu korrigieren, und eine immer größere Rolle spielen Schieds- und Ehrengerichte, die einfach bestimmte Standards festlegen.

dieFurche: Sind diese Beispiele auf europäische Verhältnisse übertragbar?

Karmasin: Natürlich gibt es da einen kulturellen Unterschied. Die USA sind eine stark vom Protestantismus, von der "political correctness" geprägte Kultur, und sicher wäre diese Form öffentlicher Ächtung bei uns weniger gut durchsetzbar. Dennoch sollte man die medienethische Dikussion auch unter dem Aspekt der Wirtschaftsethik führen.

Ich halte es für einen Fehler der gegenwärtigen medienethischen Diskussion, daß sie vornehmlich individualethische Appelle Richtung Journalisten ausstößt und die Verantwortung der Werbewirtschaft beispielsweise komplett ausblendet: Warum finanzieren die bestimmte Formate? Da wird dann exkulpiert mit dem Kunden, der halt Vorrang hat - dieses oder jenes Markenartikelunternehmen -, und der Kunde redet sich auf seine Aktionäre heraus, denen er verpflichtet ist, und dann entsteht, was man so schön "organisierte Unverantwortlichkeit" nennt, etwas, das im österreichischen Medienbetrieb schlagend ist.

dieFurche: Welche Rolle billigen Sie bei der Verteilung der Verantwortung dem Staat zu?

Karmasin: Damit kommen wir zu einem zweiten Problem: So wenig wie es eine individualethische Überforderung geben darf, darf der Staat eine moralische Entlastungsfunktion übernehmen. Was der Staat tun muß, ist, über formale Normen die Anschlußfähigkeit von Ökonomie und Ethik herzustellen. Gerade im Medienbereich darf der Staat nicht sagen, was nun de facto, im Sinne einer Materialnorm, gut oder böse ist. Vielmehr muß er die Rahmenbedingungen für Beobachtung und Diskussion schaffen. Er muß dafür sorgen, daß die Realitätskonstruktionen in der Gesellschaft reflektiert und das Freiheitsverständnis diskutiert werden.

dieFurche: Welche Rolle können die Kirchen spielen?

Karmasin: Ich glaube, daß die Kirchen ein spezielles Problem haben: einerseits müssen sie ein Ethos gegen Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Medien vertreten, andererseits hängen sie selbst von der Medienöffentlichkeit ab. Das ist eine medienethisch beträchtliche Herausforderung. Allerdings verfügen die Kirchen über ein ansehnliches Reservoir an ethischer Reputation, und das gilt es einzusetzen. Ich denke, daß hier noch viel zu wenig geschieht. Ich vermisse in der medienethischen Debatte einen unverwechselbaren, kantigen Standpunkt der Kirchen.

Die Frage der Medien scheint individueller Beliebigkeit anheim gegeben zu sein: wenn sich einer mit Medien beschäftigt, dann tut er das halt - oder er tut es nicht; ein institutionalisierter Diskurs findet nicht statt. Dahinter steckt die Verweigerung einer Realität: daß wir nämlich in einer Informations- und Mediengesellschaft leben. Und die macht es notwendig macht, sich mit dem Thema Medienethik auseinanderzusetzen. Überhaupt fällt mir auf, daß etwa die katholische Kirche in den mir bekannten Sozialenzykliken konsequent und nach wie vor von einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft ausgeht. Darin kommen die Medien lediglich als Mittel vor.

Das Gespräch führte Elisabeth Ohnemus.Matthias Karmasin ist Assistent in der Abteilung Philosophie der Wirtschaftsuniversität Wien und Inhaber einer Vertretungsprofessur für Medienmanagment am Institut für Medien und Kommunikation der Technischen Universität Ilmenau in Thüringen.

DEUTSCHES "NETZWERK MEDIENETHIK" Interdisziplinäres Forum Ein interdisziplinäres Gesprächsforum zu ethischen Fragen im Medienbereich bildet das "Netzwerk Medienethik", das 1997 am Institut für Kommunikation und Medien der Münchner Hochschule für Philosophie initiiert wurde. Rund dreißig Vertreter aus philosophischer und theologischer Ethik, Kommunikations- und Publizistikwissenschaft, von Selbstkontrollgremien und Verbänden aus dem ganzen deutschsprachigen Raum treffen sich seither regelmäßig zu Fachtagungen mit dem Ziel, ethische Orientierung im Medienbereich aktiv zu fördern.

Bereits im Gründungsjahr wurde das Netzwerk politisch aktiv und beriet eine Abordnung des Netzwerkes auf einer Klausurtagung in Münster die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Neue Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft"; 1998 folgte eine Netzwerk-Tagung zur Frage "Öffentlichkeit - eine notwendige und ergiebige Leitidee für Medienethik?" - die Referate beider Veranstaltungen werden derzeit in einem Sammelband dokumentiert. 1999 standen die "Medien im Spiegel der Medien" zur Debatte: "Medienjournalismus zwischen Anspruch und Wirklichkeit"; auch zu diesem Thema ist eine Veröffentlichung geplant.

Das Netzwerk fordert u. a.: * Die Entwicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft muß auch unter sozialen und ethischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Sie darf nicht allein der ökonomischen Steuerung durch den Markt überlassen werden.

* Bei Medienunternehmern soll das Bewußtsein für das Gemeinwohl gefördert werden.

* Die Selbstkontrolle von Multimediaunternehmen benötigt klare ethische Kodizes.

* Die Sensibilisierung von Journalisten für die Berufsmoral muß Bestandteil der Aus- und Weiterbildung sein.

* Ein qualitätsvoller Journalismus ist ohne externe Medienkritik und Medienselbstkritik nicht denkbar. Ein kritischer und unabhängiger Medienjournalismus muß neben den Medienprodukten der Konkurrenz auch solche aus dem eigenen Haus kritisch rezensieren wollen und dürfen.

* Medienkompetenz ist durch Medienerziehung möglichst breit zu gewährleisten.

E. Ohnemus Informationen über das Netzwerk sind im Internet unter http:// www.gep.de/Medienethik/Netz/htm oder über den Koordinator des Netzwerkes zu erhalten: Prof. Dr. Rüdiger Funiok, Inst. für Kommunikation und Medien, D-80539 München, Kaulbachstraße 31 a,Tel.: 0049-89-2386-2400, Fax: -2402; e-mail: funiok@hfph.mwn.de

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