Eigenständige, hochexpressive Tonsprache

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Tod von Pierre Boulez ist keine Ära zu Ende gegangen: Denn der letzte Altmeister dieser Epoche vollendet am 17. Februar sein 90. Lebensjahr: Friedrich Cerha. In ungebrochener Agilität und Schaffenskraft. Wo er diese hernimmt? Von seinem regelmäßigen Alkohol- und Knoblauchkonsum, wie er vor wenigen Jahren in einem Interview launig und voll Selbstironie mitteilte.

Mit neun Jahren machte der Wiener seine ersten Kompositionsversuche. Die Wirren des Zweiten Weltkriegs führten ihn in den Widerstand, machten ihn zum Bergführer in Tirol, ehe er in Wien Germanistik, Musikwissenschaft und Philosophie studierte und mit einem auch musikalischen Thema promovierte: "Der Turandot-Stoff in der deutschen Literatur". Daneben studierte er an der Musikakademie Komposition und Violine. Zunächst Konzertgeiger und Mittelschullehrer zeigte er sich allen aktuellen Entwicklungen höchst aufgeschlossen, besuchte Kurse in Darmstadt und bei den zum Schönberg-Kreis gehörenden Rudolf Kolisch und Eduard Steuermann. Mit dem von ihm mitbegründeten Ensemble "die reihe" engagierte er sich für die Neue Musik, wurde international einer der Pioniere für die Durchsetzung der Zweiten Wiener Schule. Ab 1959 Lehrbeauftragter an der Wiener Musikhochschule, lehrte er hier zwischen 1976 und 1987 als Professor Komposition.

Parallel dazu begann er eine ebenfalls international hochgeschätzte Karriere als Dirigent, die ihn an große Konzertinstitutionen und Opernhäuser führte. Dennoch fand Cerha immer genügend Zeit für die Komposition, wo er, ausgehend von Neoklassizismus und geprägt von den seriellen Techniken des Darmstädter Kreises, rasch zu einer eigenständigen, hochexpressiven Tonsprache fand.

Das spiegelt sich wider in seinen zahlreichen Orchesteropera - darunter der als Bühnenwerk ausgestaltete, wegweisende "Spiegel"-Zyklus - und in seinen in Salzburg, Graz oder Wien uraufgeführten Opern "Baal", "Der Rattenfänger" oder "Der Riese vom Steinfeld" (nach Peter Turrini).

Wie weitgespannt Cerhas stilistisches Interesse ist, zeigt sich in den vom Idiom des Wienerischen beeinflussten Opera "Eine Art Chansons" und den "Keintaten" sowie seinen durch außereuropäische Musik inspirierten Streichquartetten. Musikgeschichte geschrieben hat Friedrich Cerha zudem mit der Komplettierung des dritten Aktes von Alban Bergs unvollendet gebliebener Oper "Lulu", den niemand Geringerer als Boulez 1979 in Paris uraufführte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung