Eigentlich ein Skandal

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"Cavalleria Rusticana/Pagliacci" vor Sexisten in der Staatsoper.

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"Cavalleria Rusticana/Pagliacci" vor Sexisten in der Staatsoper.

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So mancher mag heute den Kopf schütteln über das archaische Ehrgefühl süditalienischer Dorfbewohner in der "Cavalleria Rusticana" von Pietro Mascagni und das tödlich endende männliche Besitzdenken in "Pagliacci" von Ruggero Leoncavallo - doch die Unzivilisierten sind mitten unter uns. Bei der musikalischen Neueinstudierung der siamesischen Opern-Zwillinge am Sonntag in der Wiener Staatsoper nämlich wurde Simone Young von einem Teil des Publikums ausgebuht. Buhs, die nicht der Dirigentin, sondern der Frau galten. Daß das (größtenteils männliche) Orchester - übrigens zu Recht - von denselben sogenannten Opernfreunden heftig beklatscht wurde, spricht für sich. Eine Schande für Wien.

Youngs Dirigat ist nicht sensationell, aber durchaus interessant und eigenständig, keinesfalls jedoch mißlungen. "Pagliacci" hat die Dirigentin eher analytisch angelegt: Den detailliert gezeichneten, abgrundtief einsamen Individuen auf der Bühne entsprechen die fein herausgearbeiteten, säuberlich voneinander abgegrenzten Stimmen im Orchestergraben. Die "Cavalleria" hingegen klingt so, wie die traditionelle Dorfgemeinschaft strukturiert ist: trotz innerer Konflikte ein kompaktes Kollektiv, in dem kein Platz ist für die Entfaltung des Individuums. Nur manchmal erliegt Young in der "Cavalleria" dem Staatsopernsyndrom, will heißen: tadelloses Handwerk, aber blutleer. Das kann allerdings auch an der vor der Pause stellenweise hölzernen (oder hölzern gewordenen) Inszenierung aus dem Jahre 1985 liegen. Immerhin: Bühnenbild und Lichtregie sind auch aus der Distanz von 15 Jahren noch von allererster Güte.

Zu hören ist auch ein wirklich erstklassiges Ensemble, dennoch ist es nicht unfair, zwei Sänger besonders zu loben: Leo Nucci als Tonio trägt einen wuchtigen und zugleich eleganten Prolog vor, der Begeisterungsstürme auslöste und Johan Botha erweist sich als von Eifersucht durchbohrter Canio nicht nur als großer Interpret von"Vesti la giubba", der wahrscheinlich berühmtesten aller Tenorarien, sondern glänzt erstmals auch als Charakterdarsteller.

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