Ein Albtraum, der in stets neuen Variationen ans Licht drängt

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Er machte sich selbst und seinen Körper zum Kunstwerk: Günter Brus. Das Rupertinum in Salzburg widmet dem steirischen Künstler anlässlich seines 70. Geburtstages eine Retrospektive.

Engel stammen leider vom Menschen ab." So steht es in einer Radierung aus dem Zyklus "Große Erdangst" (1982) in dünnen Lettern geschrieben. Damit ist das ganze Dilemma der Menschheit, so wie es Günter Brus sieht, definiert. Kein Heil in Sicht, nirgends. Die Welt ist ein Ort der Erdenbewohner, und damit ist es mit dem Frieden vorbei. Im Zentrum der Radierung befindet sich ein gewaltiges Tor, das, so massiv, wie es aus dem Boden ragt, für alle Ewigkeit gebaut scheint. Darüber türmen sich dunkle Wolken. Der Eingang zur Hölle könnte derart beschaffen sein, oder zu einem der zahllosen Vernichtungslager, das sich die Menschen im Verlauf der Geschichte ersonnen haben. Wer vermag den Unterschied schon so genau zu benennen. Das Leben mag sich ja für manche als Traum schmücken, für Günter Brus ist es ein Albtraum, der in stets neuen Variationen ans Licht drängt.

Aggressionen gegen das eigene Ich

Im Rupertinum in Salzburg ist Günter Brus eine große Überblicksausstellung gewidmet. Der junge und der alte Brus stehen eng zusammen. Die Wirklichkeit, so wie sie sich dem aufstrebenden Rebellen aus der Steiermark darstellte, ähnelt fatal jener, wie sie der abgeklärte Künstler heute in seinen Bildern zeigt. In den sechziger Jahren, als der Wiener Aktionismus ein ganzes Land in Aufruhr versetzte, richteten sich die Aggressionen des Künstlers gegen das eigene Ich. Er machte sich selbst zur Leinwand, kleisterte seinen Körper mit weißer Farbe zu, um ihn von oben bis unten durch eine schwarze Linie zu spalten. So zerrissen erwies sich ein Mensch, der mit der auf Harmonisierung gestimmten Politik in Österreich nichts anzufangen wusste. Die Welt brannte, der Krieg in Vietnam hatte Intellektuelle und Künstler hellhörig gemacht, und in Österreich ging alles seinen gewohnten Gang. Unvermutet wurde ein Künstler, der mit Symbolen der Gewalt arbeitete, politisch. Eine Hand, von Nägeln und Rasierklingen zur Verletzung freigegeben, Gesicht und Oberkörper bestückt mit Reißnägeln - der Mensch, das verletzbare Wesen, hier war es als Opfer drastisch in Szene gesetzt.

Malträtierte Körper

Was damals aufregte, war die Unmittelbarkeit, mit der ein Körper malträtiert wurde. Man konnte sich nicht rausmogeln in die Abstraktion, die unmittelbare Anschauung erzeugte den Schock. Ob man politisch argumentierte, um von der Zurichtung des Menschen durch gewalttätige Kräfte zu reden, oder psychologisch, um das chaotische Innenleben eines sensiblen Künstlers zum Thema zu machen, Zerstörung und Verstörung hatten die gleichen Wurzeln. Eine Gesellschaft, die sich an die neue Nachkriegsgemütlichkeit gewöhnt hatte, wurde mit ihrem Vernichtungspotenzial konfrontiert.

Auch wenn sich Brus 1970 mit seiner 43. Aktion "Zerreißprobe" endgültig vom Aktionismus verabschiedete, den Frieden mit der Gesellschaft hatte er deswegen noch lange nicht gemacht. Seinen Kampfplatz verlegte er auf das Papier. Jetzt zeichnet, radiert, malt und schreibt er, bevorzugt arbeitet er in Zyklen, wo er auf längerer Strecke seine Fantasien der Bedrohung zu dokumentieren vermag.

Brus, das wird jetzt deutlich, ist der große Geschichtenerzähler unter den künstlerischen Zeitgenossen. Er setzt die Königsdramen und Knechtszenen von Macht und Ohnmacht drastisch ins Bild. Wenn der Zuseher dann doch einmal unverhofft in hellen, freundlichen Farben bei strahlender Sonne in freier Natur schwelgen darf, kippt die Idylle bei nächster Gelegenheit ins Schreckliche. Nimm dich in Acht, ruft uns Brus zu, die Idylle lauert überall, aber sie ist nur der falsche Schein der knochenharten Erdenwirklichkeit.

Günter Brus: Postdirekte Kunst

Zeichnungen, Bild-Dichtungen, Fotografien und Grafik, Rupertinum Salzburg, bis 19. 4. 2009

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