Ein altmodischer Moralist

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Als Alfred in Wien geboren, als Alfredo sein Leben in Buenos Aires gelebt. Antifaschistisch erzogen, da wie dort von Faschisten verfolgt. Zum Frauenarzt ausgebildet, zur Politik und schriftstellerischen Arbeit gedrängt. Der Austro-Argentinier Alfredo Bauer feiert seinen 85. Geburtstag und hat „seiner Zeit um ein Weniges weitergeholfen“.

Der von Alfredo Bauer hoch verehrte Dichter Peter Hacks schrieb: „Seiner Zeit um ein Weniges weitergeholfen zu haben, ist die dem Menschen vorgegebene Form der Unsterblichkeit.“ Auch wenn die Unsterblichkeit keine zeitgenössische Kategorie des menschlichen Daseins mehr ist, so kann der österreichische Argentinier oder argentinische Österreicher – beides trifft zu – Alfredo Bauer doch mit Freude und Zufriedenheit auf ein erfülltes Leben zurückblicken, das viele Menschen, die ihn in diesen Jahrzehnten kennengelernt haben, nicht vergessen werden.

Da ist sein Leben als Arzt: „Ich konnte 6000 Kinder in die Welt befördern und so vielen Frauen in ihren – nicht nur körperlichen Nöten – helfen.“ Arzt zu sein bedeutete für Bauer immer Dienst an der Menschheit, und dieser Dienst füllte und füllt sein gesamtes Leben aus. Da war der Schritt zum politischen Aktivisten nur nahe liegend, zuerst auf Seiten des Antifaschismus, dann in den Reihen der argentinischen Linken. Heute ist Bauer dort geschätzter politischer Kommentator und schreibt in der renommierten Tageszeitung Página 12.

Positive Helden, die die Geschichte bewegen

Die Literatur könnte man als dritte Achse in Bauers Leben bezeichnen, und auch hier ist sein Wirken von seiner Grundeinstellung, von seinem humanen Engagement gekennzeichnet. Ob Arzt, politischer Aktivist oder Schriftsteller: Im Mittelpunkt seiner Tätigkeiten steht immer der Mensch, an dessen souveräne Vernunft er unerschütterlich glaubt: „Mir ist selber nicht ganz klar, wie ich neben meinem Arztberuf zum Schriftsteller wurde“, gesteht Bauer. „Aber natürlich wollte ich dadurch zur Befreiung des Menschen, zur sozialen Erneuerung beitragen.“ Und so schreibt Bauer immer wieder über die Emanzipation der Frauen – mit deren seelischen Nöten ihn sein Arztberuf oft konfrontierte –, über Sexualaufklärung und Religion, über die Geschichte der Juden und über die ewige Frage von Gut und Böse, die Sittlichkeit des Menschen …

Erich Hackl, Herausgeber eines Bandes von Erzählungen und Kurzgeschichten Bauers („Hexenprozess in Tucumán und andere Chroniken aus der neuen Welt“, Wien 1996), nennt ihn einen „altmodischen Moralisten“, dessen „positive Helden zuversichtlich sind, die Geschichte bewegen zu können“.

Die Palette Bauers schriftstellerischer Aktivitäten ist breit gestreut: von Biografien über (die letzten Tage von) Stefan Zweig und Marie Louise von Habsburg, der Gattin Napoleons, bis zu einer mehrbändigen Geschichte des Judentums.

Publizierte Bauer lange Zeit nur in Spanisch oder bei ostdeutschen Verlagen, so wird er seit einem guten Jahrzehnt auch in Österreich und Deutschland wahrgenommen. So erschien in den letzten Jahren in österreichischen Verlagen das Sammelwerk „Anders als die anderen. 2000 Jahre jüdisches Schicksal“, dem der Autor selbst große Bedeutung beimisst, und „Verjagte Jugend“, die Geschichte seiner Flucht und des Fußfassens in der Neuen Welt.

Bauer, der lebenslange Antifaschist, der als jüdischer Schüler aus seiner Heimat vertrieben wurde, kämpft mit Vehemenz seit Jahrzehnten gegen die Pauschalverurteilung von Deutschland und Österreich wegen des Holocausts. „Diejenigen, die jene Untaten begingen, waren ja zunächst Feinde ihres eigenen Volkes, und eben erst dadurch unsere Feinde“, sagt er heute. Und unermüdlich ist er darum bemüht, die junge Generation vor den Folgen von Intoleranz, Rassenwahn und Hass aufzuklären.

Die Verantwortung der Überlebenden

Im Vorjahr war Alfredo Bauer als Zeitzeuge zu der Veranstaltungsreihe „Letter to the Stars“ nach Wien eingeladen. „Mir wurde dabei von Neuem bewusst, welche Verantwortung wir Überlebenden tragen: Alles zu tun und mitzuwirken, dass nie wieder, nirgendwo, durch kein Volk und gegen kein Volk, Ähnliches wieder geschieht.“

Vergangenen Mai organisierte Alfredo Bauer in Argentinien zusammen mit vier jüngeren Kollegen einen Kongress über „Jura Soyfer in der Neuen Welt“. Die Wirkung dieses Symposiums über einen der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller hat ihn tief berührt: „Ich habe gesehen, dass die Kultur, die Literatur zumal und besonders die „kämpferische“, sehr wohl ein Bindemittel zwischen den Völkern sein kann.

Seit Jahren verbinden ihn enge Beziehungen mit der Wiener Theodor-Kramer-Gesellschaft, die den unermüdlichen Kämpfer für eine bessere Welt schon oft nach Österreich einlud. Exponenten dieser Gesellschaft wie Konstantin Kaiser und Erich Hackl haben ihn schon früh als eine Zentralfigur der österreichischen Exilliteratur kennen und schätzen gelernt. 2002 wurde Bauer mit dem Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und Exil ausgezeichnet.

Dreißig Jahre nach seiner Flucht aus Österreich schrieb Bauer: „Man hängt an der alten Heimat. Dass man dort Böses erfahren hat, dass man sie schließlich verlassen musste, hat damit nichts zu tun. In der Heimat ist man aufgewachsen, hat ihre Eigenart in sich aufgenommen, ist ein Stück von ihr.“

Besuch in Österreich mit Kind und Enkel

Was sagt ein Mensch wie Alfredo Bauer, wenn man ihn kurz vor seinem 85. Geburtstag nach dem Fazit seines kämpferischen Lebens fragt: „Obwohl auch ich, wie alle, Schicksalsschläge erlitten habe: die Verfolgung, Vertreibung und Entwurzelung, den frühen Tod meines Vaters und sehr frühen Tod meiner ersten Frau – bin ich ein glücklicher, vom Schicksal begünstigter Mensch.“ Und: „Ich glaube, der Inhalt meiner Glücksfähigkeit war, dass ich tätig sein durfte und konnte.“ Als einen Bestandteil dieses Glücks führt Bauer auch seine Kinder und Enkel an. Bei seinem Österreich-Besuch im Oktober wird ihn nicht nur Sohn Jorge begleiten, sondern erstmals auch Enkel Leonardo.

Von Reichstags-Abgeordneten unterrichtet

Bis zu seinem 14. Lebensjahr lebte Alfred Bauer im ersten Wiener Gemeindebezirk. 1938, mit dem Einmarsch Hitlers in Österreich, war der Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie gemeinsam mit seinen Eltern gezwungen, nach Argentinien zu emigrieren. In Buenos Aires besuchte Alfredo die antifaschistische Pestalozzi-Schule, war dort Schüler der ehemaligen sozialistischen Reichstags-Abgeordneten Siemsen und Dang. Danach studierte er Medizin und spezialisierte sich auf Gynäkologie und Geburtshilfe. Schon früh drängte es ihn auch zu politischen Aktivitäten, zuerst in der Exilorganisation „Austria Libre“, dann als Mitglied der Kommunistischen Partei Argentiniens und ganz besonders in der sozialistischen Bewegung „Vorwärts“, einem 1882 von deutschen Arbeitern in Argentinien gegründeten Verein.

Im Oktober besucht Alfredo Bauer Österreich, am 14. November feiert er in Argentinien seinen 85. Geburtstag. (wh)

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