Ein amerikanischer Fiebertraum

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Detroit verwandelt sich in die fiktive Ortschaft "Lost River", in der Überleben schwer ist und an der David Lynch seine wahre Freude hätte: Ryan Goslings Regiedebüt.

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Detroit verwandelt sich in die fiktive Ortschaft "Lost River", in der Überleben schwer ist und an der David Lynch seine wahre Freude hätte: Ryan Goslings Regiedebüt.

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In den USA würde das Geld auf der Straße liegen, hieße es in seinem Land, erzählt der Taxifahrer (Reda Kateb), der Billy (Christina Hendricks, "Mad Men") Abend für Abend in den Nachtclub kutschiert. Aber wenn man dann herkomme, sehe man, dass alles ganz anders ist. Die USA, die Schauspieler Ryan Gosling bei seinem Debüt als Regisseur und Autor thematisiert, sind die, die sich in den amerikanischen Alptraum verwandelt haben: die USA nach der Immobilienblase; die USA, die aus verwaisten Landstrichen besteht, in denen nur noch abbruchreife Häuser dekorativ drapiert sind. In der Titel gebenden Ortschaft "Lost River" herrscht die melancholische Schönheit des Verfalls.

Schönheit des Verfalls

Genau diese Ästhetik des Vergangenen macht Goslings Filmdebüt aus, das mehr eine Momentaufnahme ist als eine in sich abgeschlossene Erzählung. In den Fokus setzt der talentierte Neo-Regisseur eine dreiköpfige Familie: Die Alleinerzieherin Billy und ihre beiden Söhne, Teenager Bones (Iain De Caestecker) und Kleinkind Frankie. Die Raten für das Haus sind in dem verödeten Landstrich nicht mehr zu erwirtschaften, ihr Zuhause zurückzulassen und anderswo nach Glück und Zukunft zu suchen, ist keine Option. Also versuchen sie Geld aufzutreiben. Billys Bankbetreuer macht Druck - stellt aber sogleich eine potenzielle Geldquelle in Aussicht: Arbeit in einem Nachtclub, der David Lynch gefallen würde; in dem Tänzerinnen (etwa Eva Mendes) vor johlender Menge eine wahrlich blutige Show abziehen. Währenddessen tapst Bones bei der Geldbeschaffung der örtlichen Gang ins Revier.

Auf Lost River liege ein Fluch, erzählt die Nachbarin. Seit alle Ortschaften rundherum geflutet wurden, sei dies ein verlorener Ort -es ist ein düsterer Ort der Geheimnisse, erst recht durch die geisterhafte Umgebung der gefluteten Ortschaften, einer unnatürlichen Unterwasserwelt, in der Bones nach einer Lösung sucht.

Gosling ist mehr an Atmosphäre als an exakter Dramaturgie gelegen, womit er besonders nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes zu kämpfen hatte: Seine Erzählung sei zu wirr, zerbreche an den eigenen Ambitionen, lautete die erste Kritik. Nur sind die Bilder, die er einfängt, ungeheuer stark - und so verzeiht man ihm die inhaltliche Unschärfe.

Einflüsse von Lynch bis Leos Carax

Gosling hat seine Hausaufgaben gemacht, Einflüsse von Lynch bis Leos Carax sind spürbar, und auch die Zusammenarbeiten mit Nicolas Winding Refn, für den Gosling in "Drive" und "Only God Forgives" agierte, sowie Derek Cianfrance ("The Place Beyond the Pines"). Der ausschlaggebende Punkt für sein fiktives Lost River war die Stadt Detroit, die Gosling durch den Dreh von "The Ides of March" kennenlernte: "Sie war am Rande des Bankrotts. Es gab 40 Meilen lang verlassene Wohngegenden, dazwischen gähnende Lücken in den Hausreihen. Straßen, in denen Eltern versuchten, ihre Kinder großzuziehen, wo immer wieder Häuser abgebrannt oder eingerissen wurden."

In der einstigen Geburtsstadt der Mittelschicht wurde längst kein amerikanischer Traum mehr geträumt. In "Lost River" auch nicht. Nur noch ein Fiebertraum. Den hat Gosling in einen flammenden, einnehmenden Film übersetzt.

Lost River USA 2014. Regie: Ryan Gosling. Mit Christina Hendricks, Iain De Caestecker, Eva Mendes. Constantin. 95 Min.

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