Ein analytischer Charismatiker

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Lorin Maazel wusste stets, wer er war. Zweifel darüber ließ er gegenüber niemandem aufkommen. Geschadet hat ihm dies nur selten. Was mit seiner imponierenden Persönlichkeit zusammenhing. Der 1930 in Neuilly-sur-Seine bei Paris geborene, in den USA aufgewachsene Musiker, der sich fließend in sechs Sprachen unterhalten konnte, hatte auch eine außerordentliche Begabung in Mathematik, die er ebenfalls studiert hatte. Dennoch stand die Musik im Zentrum dieses nach außen hin meist kühl, zuweilen arrogant wirkenden Künstlers, was zu vielen seiner packenden Interpretationen in seltsamem Widerspruch stand.

Für viele war er der bedeutendste Dirigent der letzten Jahrzehnte. Jedenfalls der umfassendste. Was sich nicht allein auf seine umfassende Bildung, sondern ebenso auf sein vom Barock bis in die Gegenwart reichendes, breites Repertoire bezieht. Eigene Werke, darunter die Oper "1984“ und Virtuosenkonzerte für berühmte Kollegen, miteingeschlossen. Allerdings stieß der Komponist Maazel auf weniger Gegenliebe als der mit analytischer Virtuosität agierende, selbst bei komplexesten Partituren nicht aus der Ruhe zu bringende Dirigent, der über eine brillante Technik verfügte.

Am Ende seiner Karriere hatte der auch als teuerster Dirigent der Gegenwart bekannte Pultstar an die 200 Orchester in über 7000 Konzerten und Opernvorstellungen geleitet. Mit der Aufführung aller Beethoven-Symphonien an einem Tag in London stellte das Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker einen zusätzlichen Rekord auf.

Das früh von Stokowski und Toscanini geförderte Wunderkind begann seine Musikerkarriere als Geiger im Pittsburgh Symphony Orchestra, dessen Musikdirektor er später wurde. Chefpositionen hatte er an der Deutschen Oper Berlin, beim RSO Berlin, beim Orchestre de Paris, in Cleveland, bei den New Yorker Philharmonikern, in Valencia, beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und zuletzt bei den Münchner Philharmonikern inne. Nicht zu vergessen seine Wiener Staatsoperndirektion zwischen 1982 bis 1984. Auch wenn er mit seinem zu herrisch vorgetragenen Anspruch, das Haus wie seine ebenfalls komponierenden Vorgänger Mahler und Strauss führen zu wollen, scheiterte und nach der Hälfte der Vertragszeit aufgab.

Vergangenen Sonntag ist der charismatische Pultvirtuose in seinem amerikanischen Wohnsitz in Castleton Farms, Virginia, an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

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