Ein anderes Wort suchen

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Verfahren experimenteller Dichtung und ihre Nähe zu religiösen Schriften.

Für einen Dichter ist der Umgang mit der Sprache eine prinzipielle Frage, die auch mit der Frage der Identität zu tun hat: Wie gehen wir mit dem Wort um und welche Zuschreibung auf dieses Ich und auf die Identität des Eigenen kann das Wort in diesem Zusammenhang leisten? Damit verbunden ist auch die Frage: Wie wird zugeschrieben, wie erkennen wir, wie erfahren wir?

Unmittelbarkeit erfahren

Dieser Moment des Erfahrens war für mich in meinen Anfängen sehr wichtig; ich war damals mit einem Begriff beschäftigt, den ich dann beim Herumlesen in religiösen Lexika auch gefunden habe - ich wollte eine Art Unmittelbarkeit des Erfahrens für mich erreichen und habe dabei bemerkt, dass ich mit der konventionellen Sprache, die mich umgeben hat, nicht zurecht gekommen bin. Ich war auf der Suche nach einem anderen Wort.

Und ich glaube, das ist so eine prinzipielle Situation, wie wir sie zum Teil auch in den Schriften der Bibel, speziell in den dichterischen Formen wie den Psalmen auffinden. Dieser Moment der Unmittelbarkeit, den ich dann mit dem Begriff des Jetzt umschrieben habe, ist durchaus auch verbindbar mit der Frage, wie wir diesen Begriff Gott erfahren können. Da habe ich eine sehr schöne Stelle gefunden, wo es heißt, dass die Erfahrung des Gottesbegriffes in der Erfahrung selbst liegt und nicht im Inhalt des Begriffs.

Wenn man die Poesie - und ich glaube an die Poesie und an die Kraft der Poesie - als so eine Möglichkeit einer zweiten Welt sieht, die in dieser säkularisierten natürlich nicht eine große Rolle spielt - und auch den Begriff des Schöpferischen mit heranzieht und die Frage nach dem Ersten und dem Letzten stellt, ist darin auch die Frage nach dem Teil und dem Ganzen involviert - eine extrem berührende Frage, die auch in den religiösen Schriften eine Rolle spielt. Das berührt auch die Frage nach dem Umgang mit dem Wort im Verhältnis zum Satz zum Beispiel.

Das sind für mich Anknüpfungspunkte, und da möchte ich einen Dichter erwähnen: Gerard Manley Hopkins, einen Jesuiten in England Mitte des 19. Jahrhunderts, der genau diese Erfahrungen versucht hat, in sich zu prozessualisieren, wieder ins Spiel zu bringen, aber mit extrem dichterischen Vorgangsweisen, die fast an experimentelle Literatur erinnern, hätte sie es damals schon gegeben.

Diese sind auch gar nicht so weit entfernt von den Verfahren in der Bibel: Wir haben da Zahlenspiele: Abraham wird nach dem Bund mit Gott 100 Jahre alt, vorher ist er 99 - das sind Bezüge, die auch für mich in meinen Grammatisierungen die Rolle des Buchstabens als Einzelmoment der Welt eine Rolle spielen: dass man sozusagen über poetische Verfahren zu einer Art Unmittelbarkeit kommt, wo aber der Begriff des Verfahrens auch eine Rolle spielt. Hopkins hat das mit dem Begriff des Sprungrhythmus durchgeführt, er hat also einen ganz neuen Rhythmus erfunden, der eine Art Unmittelbarkeit schafft.Bei ihm speziell ist das über den Naturbegriff gegangen, er wollte im Sinn von Parmenides sagen, das Seiende ist da, es hat keinen Anfang und kein Ende, es ist da wie die Erinnerung und die Vergegenwärtigung des Jetzt. Und da hat er zwei wunderschöne Begriffe erfunden: instress und inscape - das wurde übersetzt als Inwucht oder Inkraft und Inbild. Und ich glaube, dass in den religiösen Schriften - Martin Buber hat das ja auch ganz speziell in seiner Nachdichtung zur Geltung gebracht - dieses Inkraft auch eine Möglichkeit bietet, strukturelle Momente aufzubauen. Hopkins hat gesagt, dieses Inkraft ist dem Seienden innewohnend, er hat versucht, das mit neuen Wortschöpfungen zu zeigen und ist dabei zu Gedichtformen gekommen, die das nicht reproduzieren, abbilden, sondern schöpferisch ins Spiel bringen.

Wortschöpfungen

Da gibt es natürlich eine immense Verbindung zum Literarischen und zum Religiösen, was ich aber nicht kurzschließen möchte. Das ist eine Systemfrage, könnte man fast sagen: Wie erkennen wir? usw. Auch das Sprachspiel spielt hier eine Rolle. Wittgenstein kommt auch immer wieder zu religiösen Fragestellungen zurück, was man im ersten Moment bei der analytischen Sprachphilosophie nicht erwarten würde. Neuere Untersuchungen wollen nicht mehr zeigen, dass die theologische Sprache eine Sprache ist, an die man einfach glaubt, sondern zeigen das dialogische Prinzip, das Emotionale, Kontextuelle, auch mit den Begriffen der Sprechakttheorie. Das sind extrem mich berührende Fragestellungen in der eigenen Poesie wie in der Poesie der Gegenwart und der Tradition.

Der Autor lebt in Wien und veröffentlichte u. a. 1999 die Nach- bzw. Umdichtungen der Bibel: "das grosse babel,n".

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