Ein Banker und ein Tierarzt kaufen eine Kuh

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Die weltweite Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit unterstützt private Agrarkollektive. Oikocredit-Mitarbeiter Helmut Berg berichtet von einer Studienreise nach Bulgarien.

Rosskur-Liberalismus im ländlichen Bulgarien. Dörfer, in denen nur mehr Pensionisten wohnen, hohe Arbeitslosigkeit und Rezession. Ein EU-Staat, der Privatisierung über Gemeinwohl zu stellen scheint. 1945 enteignete das sozialistische Regime alle privaten Grundbesitzer. Aus meist kleinbäuerlich angelegten Strukturen entstanden große Agrarkollektive. Nach 1989 erfolgte die sukzessive Restitution des Landes an die Erben. Die zugeteilten Flächen waren meist zu klein, um sie gewinnbringend zu bewirtschaften, ihre Besitzer entweder zu alt oder lebten längst in Städten, ohne Interesse an Landwirtschaft.

Neues Leben und neue Ziele der Kollektive

Ehemalige Angestellte sozialistischer Agrar-Betriebe krempelten die Ärmel hoch und hauchten planwirtschaftlich zugrundegerichteten Kollektiven neues Leben ein. So auch der Bankkaufmann Ognyan Ognyanow und sein Jugendfreund Dobromir Dobrev, ein Veterinär. Das Duo gründete 2003 die private Partnerschaft Ezoxs nahe Popovo, einer Kleinstadt im zentral-nördlichen Bulgarien. Der genossenschaftlich strukturierte Großbetrieb ist in langer Tradition der Region auf Rinderzucht und Milchwirtschaft ausgelegt. Die Farm bewirtschaftet heute 3.281 Hektar Land der umliegenden zehn Dörfer. Rund 1.500 Landeigner verpachten ihre kleinen Flächen an Ezoxs und bessern damit ihre kargen Pensionen von meist nur 60 Euro pro Monat auf. Der Betrieb zahlt freiwillig mehr als die ortsübliche Pacht.

Längst übernimmt Ezoxs soziale Dienstleistungen des öffentlichen Sektors wie Schneeräumung, medizinische Versorgung, Wohnraumbeschaffung und Bildung. Täglich werden 700 Laibe Brot an Pensionisten zu einem Sozialtarif frei Haus geliefert. Futter für die Kleintiere der Pächter wird kostenlos zur Verfügung gestellt. In einem ehemaligen Arbeiterwohnheim entstehen Wohnungen, am Fluss wird ein Bewässerungsdamm mit Badesee als Erholungsgebiet für die Mitarbeiter errichtet.

Tierarzt Dobrev arbeitete schon 1985 für den damals staatlichen Viehzuchtbetrieb. "Die Qualität der Tierhaltung und das planwirtschaftliche Konzept der sozialistischen Ära waren mir zuwider. Außerdem taten mir die Tiere leid. Damals schwor ich mir, alles daran zu setzen, es einmal besser zu machen. Nach dem Zusammenbruch des alten Systems fehlte es an allem. Da wusste ich: Jetzt ist meine Zeit gekommen.“

Bulgariens Agrarwirtschaft lag nach der Wende komplett am Boden. Das Land wurde nicht mehr kultiviert, die Viehzucht für unrentabel erklärt. Die staatlichen Farmen waren verlassen und wurden liquidiert. Die vielen kleinen Landeigner waren ohne Einkommen. Keine Bank glaubte, dass man landwirtschaftliche Aktivitäten gewinnbringend führen könnte.

2003 trat Bankkaufmann Ognyanow in erste Verhandlungen mit Oikocredit. "Wir hatten gehört, dass diese Organisation Kredite an Menschen mit guten Ideen aber ohne Sicherheiten vergibt. Unser Geschäftsmodell sah von Anfang an die soziale Verantwortung für die Mitarbeiter und die Verbesserung der Lebensumstände aller Menschen vor, die mit unserem Betrieb in Verbindung stehen. Also das, was man heute CSR nennt.“

2004 wurde von Oikocredit der erste, heute längst zurückbezahlte Kredit in der Höhe von 270.000,- Euro für die Anschaffung eines Traktors und anderer landwirtschaftlicher Maschinen gewährt. "Da haben wir sehr bescheiden mit 37 Milchkühen begonnen“, erinnert sich Dobrev. "Heute stehen über 600 vorbildlich gehaltene Tiere auf der Farm und unsere Ausbaupläne sehen für die nächsten Jahre einen Stand von 1.000 vor.“ 65 ständige Arbeitsplätze konnte Ezoxs bisher schaffen. In der Saison finden bis zu 100 Menschen der Umgebung Beschäftigung. Höchst willkommen bei einer Arbeitslosenrate von rund 20 Prozent in der Region.

Billigere EU-Milch als Konkurrenz

Ökonom Ognyanow verweist stolz auf eine ausgeglichene Bilanz, trotz Wirtschaftskrise. "Heute bekämen wir auch von rein kommerziell ausgerichteten Geschäftsbanken günstige Kredite zwischen 6 und 12 Prozent Zinsen per annum. Oikocredit bietet uns Kredite um 7 Prozent. Außerdem haben die zu einer Zeit an uns geglaubt, als andere sich abgewandt hatten.“

Bulgariens Milchproduzenten leiden unter den Billig-Importen aus Ungarn, Deutschland und Polen. "Diese Länder werfen ihre geförderte Überproduktion in Bulgarien auf den Markt. Zu einem Preis, den wir nicht halten können“, so Dobrev. "Unsere Chance liegt in der Produktion hochqualitativer Frischmilch-Produkte wie Joghurt und Käse, jedoch nicht in Bio-Produkten. Dafür gibt es hier noch keinen Markt.“ Dieser Analyse stimmt auch Oikocredit Bulgarien Chefin Mira Andonova zu: "Die Menschen hier sind gezwungen, nach der billigsten Ware zu greifen. Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei 350 Euro. Nach Privatisierung der Energiewirtschaft hat ein Konzern das Monopol im Land. Die Heizkosten einer 60 Quadratmeter betragen seither 100 Euro pro Monat. Für viele unbezahlbar.“

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