Ein Beispiel für die Entblößung der Gesellschaft

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Im Theater an der Wien ist die „Fledermaus“ in einer szenisch unausgereiften, musikalisch nur teilweise gelungenen Produktion zu sehen. Chefdirigent Cornelius Meister ist gut vorbereitet, gewährt seinem Orchester aber nicht immer genügend Freiheit zur Entfaltung. Der Arnold Schoenberg Chor hingegen fügt sich ideal ins jeweilige Geschehen.

Die Grenze, wo eine Interpretation endet und eine Neudeutung beginnt, wird sich kaum je allgemein ziehen lassen. Damit scheint, wie nicht wenige Regisseure meinen, jede subjektive Deutungsvielfalt legitimiert. Freilich nur insoweit, als damit die Intention von Stück und Autor nicht konterkariert wird. Trotzdem müssen nicht selten Stücke dran glauben. Wie zuletzt im Theater an der Wien.

Wenigstens am Programm ist das Stück ausgewiesen: „Die Fledermaus“, Operette in drei Akten von Johann Strauss, aufgeführt nach der von Michael Rot edierten Kritischen Neuausgabe der Neuen Johann Strauss Gesamtausgabe. Das ist zu relativieren. Zwei Akte „Fledermaus“, dann ein großer Kabarett-Teil, wie man es gewohnt ist, wollten Regisseur Philipp Himmelmann und Dirigent Cornelius Meister partout nicht. Also erwecken sie den Eindruck, das Werk bestehe aus zwei Teilen. Der Frosch kommt erst gar nicht vor, sondern wird mit der Figur des Dr. Falke vereint. Denn, so das Argument des am Theater an der Wien debütierenden Regisseurs: Wer die Intrige ausdenkt, muss sie auch vollständig und konsequent zu Ende führen. So liest man es im Programmheft. Erläutert wird es nicht näher. Auch auf der Bühne wird dieser Ansatz nicht weiter deutlich. Dafür wird man bereits in der Ouvertüre mit einer offensichtlich morbiden, sich gerne auskleidenden Gesellschaft konfrontiert. Sie findet Gefallen an einem Sesseltanz, als dessen Höhepunkt der schon zuvor gedemütigte Dr. Falke angepisst wird.

Froschkönig zum Ausgleich

Ein nicht nur im Ansatz stecken gebliebener, sondern auch unpassend greller Versuch, die Vorgeschichte der Handlung zu erzählen.

Sollte damit eine neue Metaebene anvisiert werden? Als 1874 die „Fledermaus“ im Theater an der Wien uraufgeführt wurde, herrschte immerhin eine ähnliche Wirtschaftskrise wie heute, war die Lust der reich Bleibenden an ausgelassenen Spielen ungebrochen. Die „Fledermaus“ als Beispiel für die Entblößung der Gesellschaft. Um dies zu unterstreichen, deutet Himmelmann die üblichen Orte des Geschehens, einen Badeort in der Nähe einer großen Stadt, nämlich Baden, das Gartenpalais des Prinzen Orlofsky und ein Gefängnis, zum Opernball im Theater an der Wien, dessen Innenraum zur Vorlage für das Einheitsbühnenbild (Johannes Leiacker) wird, um. Dieses bildet auch Platz genug für die Aufführung der originalen, heute meist gestrichenen Ballettmusik, in der hier, zumal man schon auf den Frosch und seine gewohnten Extempores verzichtet, gewissermaßen zum Ausgleich die Geschichte vom Froschkönig ambitiös choreografisch (Thom Stuart) nachempfunden wird.

Auch musikalisch bleibt diese Produktion Stückwerk. Cornelius Meister, der neue Chefdirigent des RSO Wien, lässt von Beginn an keinen Zweifel, wie gut vorbereitet er sich auf diese Aufgabe hat, zeigt jedes ihm wichtige Detail an, gewährt seinem neuen Orchester aber nicht immer jenes Maß an Freiheit, damit es sich entsprechend musikantisch-schwungvoll und auch klanglich differenziert entfalten kann. Aber ihre Zusammenarbeit hat erst begonnen. Der souveräne Kurt Streit muss einen outrierten Eisenstein geben, Rainer Trost ist ein beinahe makelloser Alfred, Florian Boesch als Falke übertrifft sie an gestalterischer und gestischer Selbstverständlichkeit. Markus Butter gibt einen untadeligen Dr. Frank, Erik Arman einen pointierten Dr. Blind. Jacek Laszczokowskis eng dimensionierter Orlofsky ist eine ebenso unverständliche Fehlbesetzung wie die der Darstellerinnen von Rosalinde (Nicola Beller Carbone), Adele (Juanita Lascarro) und Ida (Swintha Gersthofer). Verlässlich wie stets der sich wiederum ideal ins jeweilige Geschehen fügende Arnold Schoenberg Chor.

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