Ein berufener Kronzeuge, der Lueger entlastet

Werbung
Werbung
Werbung

Stefan Zweig beurteilt in seinem Erinnerungswerk "Die Welt von gestern“ das Verhältnis zwischen Adolf Hitler und Karl Lueger anders als gegenwärtig tonangebende Historiker.

Die gegenwärtige Jagd auf den Volksbürgermeister Dr. Karl Lueger, die auch schon Früchte getragen hat und zur Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Ringes in Universitätsring führte, wird damit begründet, dass Lueger mit seinem Antisemitismus ein Vorläufer Adolf Hitlers und seines mörderischen Judenhasses war. Zur Untermauerung dieser These berufen sich die Lueger-Jäger auf Adolf Hitler selbst, den man sonst mit Recht nicht über den Weg traut, dessen falscher Spur man aber im vorliegenden Fall willig folgt, ohne zu hinterfragen und zu durchschauen, ob Hitler nicht nur zur Legitimation seines Tuns sich auf Lueger berufen hat. Jedenfalls ist die Berufung Hitlers auf Lueger kein ausreichender Grund, um Lueger mit dem Odium eines Vorläufers Hitlers zu belasten.

In diesem Zusammenhang ist es nützlich, ja erforderlich, einen unverdächtigen Zeitzeugen, der noch dazu vom Rassenwahn Hitlers betroffen war, und in den Tod getrieben wurde, zu Wort kommen zu lassen, der in seinem Erinnerungswerk "Die Welt von Gestern“, das ein Stück Weltliteratur geworden ist, das Verhältnis zwischen Adolf Hitler und Karl Lueger ganz anders beurteilt als die gegenwärtig tonangebenden Historiker. Im Folgenden sei der entscheidende Passus Stefan Zweigs, der auf die Beziehung zwischen den beiden historischen Persönlichkeiten abstellt, wiedergegeben:

... er bewahrte immer eine gewisse Noblesse

"Aber die ganze Vulgarisierung und Brutalisierung der heutigen Politik, der grauenhafte Rückfall zeigt sich gerade im Vergleich der beiden Gestalten. Karl Lueger mit seinem weichen, blonden Vollbart eine imponierende Erscheinung - der, schöne Karl‘ im Volksmund genannt - hatte akademische Bildung und war nicht vergebens in einem Zeitalter, das geistige Kultur über alles stellte, zur Schule gegangen. Er konnte populär sprechen, war vehement und witzig, aber selbst in den heftigsten Reden - oder solche, die man zu jener Zeit als heftig empfand - überschritt er nie den Anstand und seinen Streicher, einen gewissen Mechaniker Schneider, der mit Ritualmordmärchen und ähnlichen Vulgaritäten operierte, hielt er sorgfältig im Zaun. Gegen seine Gegner bewahrte er - unanfechtbar und bescheiden in seinem Privatleben - immer eine gewisse Noblesse und sein offizieller Antisemitismus hat ihn nie gehindert, seinen früheren jüdischen Freunden wohlgesinnt und gefällig zu bleiben. Als seine Bewegung schließlich den Wiener Gemeinderat eroberte und er - nach zweimaliger Verweigerung der Sanktionierung durch den Kaiser Franz Joseph, der die antisemitische Tendenz verabscheute - zum Bürgermeister ernannt wurde, blieb seine Stadtverwaltung tadellos gerecht und sogar vorbildlich demokratisch, die Juden, die vor diesem Triumph der antisemitischen Partei gezittert hatten, lebten ebenso gleichberechtigt und angesehen weiter. Noch war nicht das Hassgift und der Wille zur gegenseitigen restlosen Vernichtung in den Blutkreislauf der Zeit gedrungen.“

Stefan Zweig entlastet Lueger von dem Hauptvorwurf, der heute von nachträglichen Besserwissern gegen ihn erhoben wird. Zweig stellt klar, dass zwischen dem Luegerschen Antisemitismus und dem Hitlers nicht nur ein quantitativer, sondern ein qualitativer Unterschied besteht, den man zur Kenntnis nehmen und Lueger gutschreiben muss, wenn man nicht in den Fehler der historischen Erfolgshaftung für ungewollte und unvorhersehbare Folgen und Fernwirkungen des eigenen Tuns verfallen will. Post hoc heißt nicht immer propter hoc, das heißt, dass man die historische Verantwortung nicht zurückprojizieren darf, nur weil gewisse Ereignisse aufeinander folgten. Mit derselben Logik könnte man z.B. alle russischen Marxisten für die Verbrechen Stalins, die diese weder voraussahen noch wollten, verantwortlich machen. Freilich war auch der sich nur harmlos auswirkende Luegersche Antisemitismus im Rückblick nicht unbedenklich und aus heutiger Sicht abzulehnen. Trotzdem darf man nicht so weit gehen, Lueger in die Nähe Hitlers zu rücken und mit einem totalitären System in Zusammenhang zu bringen. So hat die katholische Kirche in ihrer Haltung gegenüber den Juden spätestens seit dem II. Vaticanum diesen Bedenken Rechnung getragen.

Man könnte gegen die allzu wohlwollende Charakterisierung Luegers durch Stefan Zweig geltend machen, dass es sich dabei um eine Art nostalgischer Verklärung der guten alten Zeit und deren Lichtseiten handelt. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch zeitgenössische Vertreter des kulturgesättigten Wiener jüdischen Bürgertums Lueger verehrten und nach seinem Tod betrauerten. Nicht nur die israelitische Kultusgemeinde betrauerte und feierte Lueger wie einen Freund, der kein Unheil über die Juden brachte, auch Persönlichkeiten aus diesem Kultursegment, wie der österreichische Historiker und zeitweilige Finanzminister Josef Redlich, gaben ihrer Trauer über den Tod Luegers Ausdruck.

Ein Kämpfer gegen Wiener Tatenlosigkeit

So schrieb Redlich in dem von Fritz Fellner editierten Tagebuch unter dem unmittelbaren Eindruck des am 10. März 1910 erfolgten Todes Luegers die folgende Eintragung: "Heute 8.58 morgens ist Dr. Karl Lueger gestorben. Mit ihm steigt der volkstümlichste Mann der österreichischen Republik des 19. Jahrhunderts ins Grab. Ich werde seiner immer mit Verehrung gedenken und freue mich, dass ich in den letzten drei Jahren seines so tatenreichen Lebens ihm politisch und persönlich näher getreten bin, als ich je hoffen konnte. Ich habe ihn vor fünfzehn Jahren in der Frankfurter Zeitung gegen die Wiener liberale Presse verteidigt und ich habe schon als so junger Mann größte Sympathien für Lueger und seine machtvolle Persönlichkeit gehabt, die die eingealterte Wiener Tatenlosigkeit, der österreichische Kleinmut, das läppische pseudo-liberale Getue und Gefasel der Wiener "Juiverie“ aufs schärfste und erfolgreichste bekämpft hat.“ Der jüdische Redlich verwendet in diesem Lobpreis Luegers selbst einen antisemitisch anzüglichen Begriff, nämlich den der "Juiverie“.

Die Worte Stefan Zweigs wären der Mühe wert, sie in Stein zu meißeln und diesen Stein neben dem Lueger-Denkmal aufzustellen. Dann würde sich dieses Stück Weltliteratur von dem armseligen Gestammel zeitgenössicher Ankläger Luegers, die eigene Tafeln aufstellen wollen, um Lueger entgegen den historischen Fakten zu denunzieren, abheben. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Schändung des Denkmals durch entbehrliche Zutaten unterbleiben und damit eine Blamage vermieden wird.

Im Übrigen ist es ein trauriges Zeichen für den Tiefstand der Wiener ÖVP, dass sie in der über die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Ringes im Gemeinderat geführten Debatte illiterat genug war, um die Kronzeugen Stefan Zweig und Josef Redlich, die Lueger aufs glänzendste rehabilitieren, nicht zu Wort kommen zu lassen.

Zwar nicht zur Verteidigung, wohl aber zur Relativierung des Lueger’schen Antisemitismus ist darauf hinzuweisen, dass es neben dem christlichen Antisemitismus auch einen innerjüdischen Konflikt zwischen den alteingesessenen Wiener Juden gab. Dieser war keineswegs harmlos, wie einschlägige Äußerungen von Josef Redlich und dem jüdischen Gelehrten Theodor Gompertz belegen.

Biografie

"Die Welt von Gestern“ schrieb Stefan Zweig (1881-1942) als autobiografisches Werk im Jahr1939 im Exil.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung