Ein Bild – und Fragen über Fragen

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Einem einzigen Gemälde ist eine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum gewidmet: Jan Vermeers „Die Malkunst“. Jedes Detail des Bildes erfährt besondere Aufmerksamkeit, auch die Arbeitsweise des Künstlers und die Rezeptionsgeschichte des Werks werden thematisiert.

Seine Witwe setzte trotz finanzieller Not alles daran, um dieses Gemälde in der Familie zu halten. Sie scheint gewusst zu haben, welche Bedeutung das zwischen 1666 und 1668 entstandene Bild „De Schilderkonst“ im Werk ihres Mannes Jan Vermeer einnimmt. Das Schaustück, das Vermeer offenbar zur Demonstration seines Könnens als eine Art „malerisches Manifest“ benutzte, war ohne Auftrag entstanden und verließ das Atelier zu Lebzeiten des Künstlers nie.

Dass es sich um ein außergewöhnliches Bild handelt, hatte auch Rudolf Graf Czernin erkannt, als er „Die Malkunst“ 1804 aus dem Nachlass des niederländischen Diplomaten Gottfried Van Swieten erwarb. Allerdings ahnte er nicht, dass er damit in den Besitz eines Hauptwerks des Delfter Barockmalers gelangte, denn das Gemälde galt damals als Arbeit Pieter de Hoochs. Jan Vermeer, dessen Ruhm auch zu Lebzeiten lokal begrenzt war, war im 18. Jahrhundert komplett in Vergessenheit geraten. Erst durch einen Artikel eines französischen Kunstschriftstellers, der 1866 in der Gazette des Beaux-Arts erschien, wurde Vermeer wiederentdeckt.

Gestürmt wie ein Popkonzert

Mittlerweile gilt der Barockmaler mit seinen meditativen Innenraumdarstellungen, in deren Zentrum meist geheimnisvolle Frauenfiguren stehen, als einer der populärsten Maler der abendländischen Kunstgeschichte. Eine 1995 in Den Haag gezeigte Retrospektive mit 22 Werken wurde gestürmt. Alle etwa 500.000 Karten wurden bereits im Vorverkauf abgesetzt – ansonsten nur bei Popkonzerten üblich. Dass Vermeer auch über kunstinteressierte Kreise hinaus bekannt wurde, dazu trugen mehrere Filme bei wie der 2003 für drei Oscars nominierte Streifen „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ mit Scarlett Johansson in der Titelrolle.

Warum Vermeers schmales Œuvre Forschung, Künstler und Kunstinteressierte bis heute in Bann hält, lässt sich jetzt in einer ungewöhnlichen Schau im Kunsthistorischen Museum nachvollziehen. Denn die Ausstellung ist einem einzigen Bild – eben der „Malkunst“ – gewidmet. In Zeiten, in der Quantität oft vor Qualität geht, an sich schon erfreulich. Das Bild in dem für Vermeer ungewöhnlich großen Format bietet ein Seherlebnis der besonderen Art. Als Betrachter wird man in ein Künstleratelier mit schwarz-weißem Marmorboden versetzt. Ein im Vordergrund zur Seite gezogener Vorhang gibt den Blick auf eine Szene frei: Ein Maler, der nur von hinten zu sehen ist, sitzt an der Staffelei und versucht gerade ein junges weibliches Modell mit Lorbeerkranz und üppigem blauen Gewand auf die Leinwand zu pinseln. Im Hintergrund ist eine riesige Landkarte der Niederlande zu sehen. Neben der verblüffenden Malweise, der subtilen Lichtführung und dem ungeheuren Illusionismus fasziniert der rätselhafte Inhalt des Bildes. Warum hat der Maler sein Modell als Muse der Geschichte, Klio, dargestellt? Warum zeigt Vermeer die Niederlande auf der Landkarte ungeteilt, wo doch zwanzig Jahre vor Entstehung des Bildes die Teilung stattfand? Welches politische Statement bezweckte er mit dem Doppeladler auf dem Kronleuchter? Fragen über Fragen, die bis heute zu unzähligen Deutungen geführt haben.

Heftig umstrittener Restitutionsfall

Ganz abgesehen von dem faszinierenden Bild selbst bietet die Präsentation jede Menge Sehenswertes. Denn kunsthistorische Arbeit wird hier anschaulich dargestellt. Jedes Detail des Bildes bekommt in Form von Requisiten besondere Aufmerksamkeit. Beleuchtet werden auch die Arbeitsweise – benutzte Vermeer eine Camera Obscura? – sowie die Restaurierungsgeschichte und die Rezeption des Werkes. Zahlreiche Künstler der Moderne und Gegenwart haben sich an diesem Werk abgearbeitet. Salvador Dalí zählt genauso dazu wie der Filmemacher Peter Greenaway oder die Grande Dame der österreichischen Avantgarde Maria Lassnig, deren Video „Art Education“ (1976) Vermeers „Malkunst“ gewidmet ist.

Im Zentrum des Interesses steht das Meisterwerk aber auch aus ganz anderen Gründen. Aufgrund einer nur bei diesem Vermeer-Gemälde verwendeten Technik lösen sich kleine Teile der obersten Malschicht ab, was das Denkmalamt 2008 zu einem Reiseverbot veranlasste. Zum anderen ist die Provenienz des Gemäldes seit 1945 heftig umstritten, da es Hitler für das in Linz geplante „Führermuseum“ 1940 „erworben“ hat. Nach 1945 war das Bild Gegenstand mehrerer Rückstellungsverfahren – das bisher vorletzte endete 1960 mit einem abschlägigen Bescheid. Im vergangenen September haben die Nachkommen von Jaromir Czernin einen erneuten Antrag auf Restitution gestellt mit der Begründung, dass der Verkauf ein Notverkauf gewesen sei. Zu welchen Ergebnissen die Kommission für Provenienzforschung kommt, wird mit Spannung erwartet.

Vermeer. Die Malkunst. Spurensicherung an einem Meisterwerk

Kunsthistorisches Museum

bis 25. April, Di–So, 10–18 Uhr

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