Ein Erzherzog, zu groß für die Steiermark

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150 Jahre nach seinem Tod ist nicht die jodelnde Legende, sondern die faszinierende politische Vision Erzherzog Johanns von Bedeutung. Doch die durfte er nicht entfalten.

Mitteleuropa, der Raum zwischen Nordsee und Adria, hat eine gut zweitausendjährige Geschichte der Konfrontationen hinter sich. Eroberungs- und Bürgerkriege, Religionskonflikte, soziale Verteilungskämpfe, dynastische Streitereien - sie alle waren aus heutiger Sicht opfervolle und zerstörerische Sinnlosigkeiten - wobei sie auch noch im krassen Widerspruch zu den einzigartig-eindrucksvollen Schöpfungen der mitteleuropäischen Zivilisation stehen, zu den Werken der Kunst und Kultur von der Romanik bis zur Moderne, zur Zähmung der Natur durch Erfindungen und Entdeckungen; zur Humanisierung der grausamen Arbeitswelt .

Bedauerlicherweise sind die " Helden" und "Idole" Mitteleuropas einerseits Feldherren und Monarchen - andererseits Rebellen und Revolutionäre. Das denkmalversessene Wien hat ihnen mit dem dramaturgischen Konzept der Ringstraße eine selektive Geschichtsrevue verpasst: Da reiten die Heerführer Radetzky, Schwarzenberg, Erzherzog Karl und Prinz Eugen einher, da überragt die gar nicht friedvolle Maria Theresia ihre Getreuen und Franz Josef gefällt sich als Ritter am Rathaus und als Senator auf dem Parlament. Die Nationalitäten imitierten die Sitte - die Ungarn mit ihren tausendjährigen Reiterfürsten, die Tschechen um ihren martialischen König Wenzel, die Kroaten um Ban Jellacic, die Norditaliener um Garibaldi, die Tiroler um Andreas Hofer …

Allein, die Steirer haben ihren Nationalpatron als Zivilisten gekleidet, - obwohl auch er Oberbefehlshaber österreichischer Armeen in den Napoleonischen Kriegen gewesen war.

Ein sensibler Denker zwischen den Polen

Und doch ist aus heutiger Sicht Erzherzog Johann der interessanteste "Bauer und Bürger" unserer Geschichte; der sich allerdings auch nicht gescheut hat, die Probleme der Zeit als energischer und konsequenter Reformer anzugehen und in den Ablauf der Geschichte dynamisch einzugreifen - und das in einer Phase der totalen Veränderung der damaligen Welt. Erzherzog Johann (1782 bis 1859) war einerseits im Rahmen des dynastischen Gefüges Europas der Sohn des vorletzten Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, Enkel des spanischen Königs, Bruder des österreichischen Kaisers und - kaum zu glauben, das erste demokratisch bestellte Staatsoberhaupt Deutschlands. Er war Forscher, Unternehmer, Gründer von Hochschulen und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, - kurzum einer, den wir heute zweifellos einen Intellektuellen nennen würden: Ein hochsensibler Nach-Denker zwischen Aufklärung, Liberalismus, Restauration und Nationalismus.

Gerade das macht ihn zum talentiertesten Umwandler von großen Ideen in praktische Politik unter den Habsburgern seit Josef II. Und er war auch einer jener wenigen Visionäre des Hauses Habsburg, die sich nicht scheuten, sogar in demokratischen Alternativen zu denken. Wie aber konnte dieser Mann zum grünen Hansl werden, zum Jodler und Jäger, zum steirischen Prinzen ohne Titel und Mittel, zum Liebhaber einer Postmeisterstochter?

Tatsächlich passt Johann in keiner Phase seines Lebens ins Klischee, in das man nach 1918 alle Habsburger gepresst hatte; sie wären bigott, reaktionär, debil gewesen, so lautete die landläufige Meinung, und da sollte einer ein besonderes politisches Talent gewesen sein, ein mutiger politischer "Macher", ein Lebensphilosoph? Einer, der vielen seiner Zeitgenossen ein Rätsel blieb, weil er gegen den "Mainstream" andachte?

Johann verschwand jedenfalls nach 1918 ziemlich gründlich aus der gesamtösterreichischen Geschichtsschreibung. Lediglich in der Steiermark blieb er Lokalheld und Schutzpatron - wurde aber auch dort als Tourismusfigur definiert und in das traurige Milieu unfähiger Zeitgenossen gereiht. Dabei hatte Johann dem Alpenvolk am Tor zum Balkan überhaupt erst sein beachtliches Selbstbewusstsein zurückgegeben.

Was ist so außergewöhnlich an Erzherzog Johann, der am 12. Mai 1859 gestorben ist?

Eine bürgerliche Heirat gegen den Hof

In Florenz geboren und als Kind nach Wien verpflanzt, entdeckte Johann schon als junger Mann die Welt der Berge und ihrer Bewohner. Später gab er den Menschen der ganzen europäischen Alpenregion die Gewissheit, in einem Garten Eden zu leben, den es zu hegen und zu pflegen gilt.

Erzherzog Johann ist der Begründer der Landwehr in Österreich, die eine bürgerliche Alternative zur adelig-geführten Berufsarmee war. So war er 1809/10 auch der wichtigste Verbindungsmann zu den aufständischen Tirolern unter dem tragischen Bauernrebellen Andreas Hofer.

Er wies Zarenschwestern als Ehepartnerinnen zurück und heiratete gegen den Widerstand des Hofes, seiner kaiserlichen Familie und vieler Zeitgeister ein bürgerliches Mädchen. Sein Stil der Einfachheit, Ursprünglichkeit und Natürlichkeit prägte mehrere Generationen und wurde zum Symbol einer neuen Lebensnähe.

Auf Reisen machte er sich mit den fortschrittlichsten Ideen der Epoche vertraut. Seine Pläne für Lehranstalten haben die Zeiten überdauert. Technik und Industrie würden die Zukunft bestimmen, so lautete sein Credo - aber auch der gesellschaftlichen Kontrolle bedürfen. Als Unternehmer am steirischen Erzberg brachte er Reichtum in die Region und setzte Sozialmaßnahmen.

Johann wurde zwischen Wiener Kongress und der Revolution von 1848 zum wichtigsten Gegenspieler von Wenzel Fürst Metternich, dem "Kutscher Europas". Er stritt vehement gegen Bespitzelung und Zensurwesen - und trat außenpolitisch für Autonomie und Eigenständigkeit der damals erwachenden jungen Nationen Europas ein.

Das machte ihn in ganz Europa so populär, dass ihn 1848 das erste gewählte Parlament Deutschlands, die sogenannte Frankfurter Paulskirche, zum Staatsoberhaupt wählte. Als "Reichsverweser" kam er so aufs engste mit der Geschichte des europäischen Parlamentarismus in Verbindung.

Die Entscheidung verpasst

Dass er in Deutschland heute so gut wie ganz vergessen ist - und in Österreich nur im grünen Südosten Heimatrecht erhalten hat - hängt wohl nicht zuletzt mit dem Umstand zusammen, dass er nie eine offizielle Position im Sinne der österreichischen Reichsverfassung innehatte - auch jahrzehntelang in der Steiermark nicht; sein intrigenvoller Gegenspieler Metternich wusste das geschickt zu hintertreiben. Erst von 1850 bis 1859 wurde Johann zum Bürgermister von Stainz (südlich von Graz) bestellt. Er nahm das Ersuchen der Stainzer an und war sich nicht zu gut, über Straßenbeleuchtung und Entsorgung, über Enten auf dem Dorfanger und Strohdächer auf den Häusern zu befinden.

In Wien und anderswo hatte man sein ungeheures politisches Talent nicht nur negiert, sondern ihn ausgegrenzt und in ein Kronland am Rande abgeschoben. Johann konnte niemals seine Ideen auf das ganze Imperium übertragen. Was er immerhin zuwege brachte, war aber die Abfederung des Vormärzabsolutismus. Johann war ein wandelndes schlechtes Gewissen für den bösartig-reaktionären Kaiser-Bruder Franz, der ihm übel mitgespielt hatte; und er war für den debilen Kaiser Ferdinand letztlich ein Alibi gegenüber den 48er-Revolutionären.

Da war freilich vieles schon zu spät, was Johann noch reparieren hätte können. Er selbst zauderte überdies, als es um die Weichenstellung ging: Loyal gegen die eigene Familie einen weiterhin hochkonservativen Weg zu gehen und die Monarchie nicht umzubauen - oder sich für Demokratie, Freiheitsrechte und Parlamentarismus zu entscheiden und den revolutionären Frankfurter Weg fortzusetzen.

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