Ein ewiger Verlierer, bei dem die Gerechtigkeit gewinnt

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Albert Samson: Ein neuer amerikanischer Detektiv für Leser, denen Donna Leons Brunetti zu glatt durchs Leben kommt.

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Albert Samson: Ein neuer amerikanischer Detektiv für Leser, denen Donna Leons Brunetti zu glatt durchs Leben kommt.

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Albert Samson ist nicht gerade ein Gewinner, er wohnt in seinem Büro, oder anders ausgedrückt, er arbeitet in seiner Wohnung. Samson ist das jüngste Kind des Diogenes Verlages, der als Leih-und Vertriebsmutter bereits einige Schützlinge großgezogen und groß gemacht hat.

An Krimis gemessen, ist Albert Samson erst drei Jahre alt, nach seinen bereits gelösten Fällen: "Der stumme Handlungsreisende" und "Anruf vom Panther". Reale Mütter hätten mit diesem Sohn kein Vergnügen. Leben heißt für ihn nämlich vielleicht ein Rausch am Wochenende, vielleicht ein Besuch bei seiner Freundin, deren Namen wir nie erfahren. Leben heißt vielleicht auch noch lange schlafen - und lesen. Keine berauschende Existenz. Die passende Lektüre für all jene, die sich durch einen Blick in den Spiegel der Literatur besser fühlen als es ihnen tatsächlich geht.

Wer Krimis liest, für den ist der neueste Roman des in den USA geborenen und in England lebenden Michael Lewin das Passende in der entsprechenden Seelenstimmung, und wem die Kommissare Brunetti von Donna Leon und Guarnacia von Magdalen Nabb zu perfekt durch ihr Leben schiffen, für den erst recht. Für sie sind Lebenskrisen höchstens Sandbänke, auf denen das Lebensschiff vielleicht einmal bedrohlich knirscht. Dagegen der Detektiv Samson! Keine gesicherte Stellung und monatelang kein Auftrag, keine Familie, geschieden mit einer 12jährigen Tochter, aus der Bahn geworfen und auf Nebenjobs angewiesen - und doch gehören ihm unsere Sympathien. Er schafft das Unmögliche. Er ist einer der Gerechten, die wir in unserer kapitalistischen Welt brauchen und auf die wir uns verlassen, um beruhigt einschlafen zu können.

Albert Samson ist trotz seiner Lebensumstände nicht käuflich. Die Wahrheit ist ihm mehr wert als 50.000 Dollar. Ein wirklich Gerechter, ein Idealist. Daß er überhaupt in die Nähe der Wahrheit und in finanzielle Versuchung gelangt ist, hat er seinem Spürsinn und seiner Hartnäckigkeit zu verdanken.

Wer würde es schon als Fall für den Helden eines Kriminalromans sehen, wenn ein 15jähriges Mädchen im Büro eines Detektivs erscheint und ihn beauftragt, ihren richtigen Vater ausfindig zu machen? Ein echter Dutzendauftrag. Allerdings, Geld spielt keine Rolle, denn dieser Vater ist nicht irgendwer.

Albert Samson macht sich auf die Suche, zapft seine Quellen bei der Polizei an, durchstöbert Zeitungsarchive und dehnt seine Untersuchungen bis in die Normandie aus, wo amerikanische Soldaten einst Europa vom Nationalsozialismus befreiten. Wer mit seinen Kameraden diesen Kampf überlebte, der konnte auf Freundschaften bauen, die mitunter zur Zukunftsbasis wurden.

Jedes Mehr an Information würde die Ermittlungen Samsons stören, der die Wahrheit und die Mörder zu einer längst vergessenen Leiche findet, fast ums Leben kommt, aber trotzdem gut mit der Gewißheit lebt, 50.000 Dollar ausgeschlagen zu haben. Dafür bleibt ihm ein wehmütiger Blick auf seine Klientin, eine Kindfrau. "Man muß den alten Dingen Zeit zum Reifen lassen, um für die neuen bereit zu sein". Diogenes wird schon dafür sorgen, daß wir ihn nicht aus den Augen verlieren. Danke schon jetzt.

Wer viel fragt Roman von Michael Lewin Diogenes Verlag, Zürich 1998 350 Seiten, geb., öS 307,-

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