Ein Farbenfest

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"Ozeane - Kosmos voller Wunder": Unterwasserbuch der Superlative

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"Ozeane - Kosmos voller Wunder": Unterwasserbuch der Superlative

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Nach seiner Fernsehserie "Ozeane - Kosmos voller Wunder" hielten viele Howard Hall, dessen Filme auch im Österreichischen Fernsehen liefen, für den glücklichsten Unterwasserfilmer der Welt. Mit seiner Frau Michele verarbeitete er nun Lieblingsfotos und Erinnerungen an spannende Situationen zum gleichnamigen Buch.

Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, keine Dokumentation, eher die Chronik eines Abenteuers. Die beiden erzählen Geschichten, die sie in ihrer zehnjährigen Laufbahn als Filmemacher erlebten und gewähren dem Leser Zugang zur phantastischen Meereswelt. Obwohl keine der üblichen Schauergeschichten über Haiangriffe zu finden ist, mangelt es nicht an spannenden, manchmal auch gefährlichen Erlebnissen.

Dazu zählt Michele Halls erstes einschneidendes Erlebnis unter Wasser, als ein riesiger Mantarochen, den sie von einem um sein Maul gewickelten Fischernetz befreit hatte, sie auf eine Reise auf seinem Rücken mitnahm. Alpträume für Taucher: Die Begegnung mit jagenden Barracudas, die viele Taucher als wesentlich gefährlicher als Haie einstufen, oder der Kampf eines Mitglieds der Filmcrew mit einem Riesenkraken.

Die Schilderungen der technischen Probleme sind nicht nur für Unterwasserfilmer interessant: "Nur kurz darauf bevölkerte ein schnell schwimmender Schwarm kleiner roter Würmer unsere beiden Lampen. Sie schwirrten herum wie eine Traube hungriger Moskitos. Bald hatten sie das Versteck des Teufelsfisches in knallrotes Licht getaucht. Wir versuchten, sie mit den Händen abzustreifen, doch nun rotteten sie sich über unseren Köpfen zusammen. Ein Wurm im Ohr fühlt sich ziemlich unangenehm an, es läuft einem eiskalt den Rücken herunter, wenn er gegen das Trommelfell stößt. Man schüttelt den Kopf reflexartig und unkontrolliert. Binnen Minuten hatten wir alle diese kleinen roten Dinger in den Ohren. Sie machten mich ganz wahnsinnig. Gleichzeitig aber näherten sich kleine Fische dem Teufelsfischversteck, und wenn ich die Aufnahmen wollte, mußte ich durchhalten!"

Schon 1976 war der Tauchlehrer Hall als Haifotograf etabliert und erhielt das Angebot, als Spezialist am Film "Die Tiefe" mitzuarbeiten. Das Honorar steckte er in eine Unterwasser-Filmkamera und machte sich selbständig. Inzwischen wurden die Filme von Howard und Michele Hall mit fast allen Preisen ausgezeichnet, die man in diesem Metier überhaupt gewinnen kann. Ihr Erfolg birgt aber auch eine traurige Ironie: Er macht sie auch zu Archivaren und Mahnern. Einige der Tiere, die sie gefilmt haben, werden vielleicht bald in Freiheit nicht mehr existieren. Viele Arten werden kurz nach ihrer Entdeckung ausgerottet, manche sogar schon vorher.

Während unvorstellbare Summen in die Erforschung des Weltalls investiert werden, schien die Erkundung der Ozeane unseres Planeten, die dem Menschen zu weniger als fünf Prozent bekannt sind, bis vor kurzem von relativ geringem Interesse zu sein. Dabei gibt es in den Weltmeeren wahrscheinlich Pflanzen und Tiere, die von großem medizinischen Wert wären und uns Aufschluß über unsere Entwicklung geben könnten. So wurde erst vor kurzem wieder ein Hai entdeckt, der in 500 Meter Tiefe im Roten Meer lebt. Aber auch Tiere, die wir schon lange kennen, sind bedroht. Der im Atlantik gefangene Schwertfisch wog noch vor zwanzig Jahren im Schnitt 450 Pfund, heute sind es gerade noch 45 Pfund. Jungfische vieler Arten werden getötet, bevor sie für Nachwuchs sorgen können.

Auch Tips für Hobbytaucher enthält das Buch Tips in Hülle und Fülle, etwa für das richtige Verhalten in Gefahr. Oft sind scheinbare Aggressionen von Meeresbewohnern durch Verhaltensmuster begründet, deren Kenntnis wichtig für die richtige Reaktion des Tauchers ist. Seine genauen Beobachtungen tierischen Verhaltens brachten Hall auch dazu, mit Fehlschlüssen etablierter Wissenschafter aufzuräumen. Am Beispiel des symbiotischen Verhaltens von Hammerhaien und ihrer Putzerfische wiederlegt er die These, daß sich das Verhalten von Tieren ausschließlich als instinktgesteuert deuten läßt. Offenbar sei das Putzen weder für die Haie noch für die Kaiser- und Falterfische überlebenswichtig. Vielmehr scheine es sich um ein für beide Seiten angenehmes Übereinkommen zu handeln.

Sein "Glück" betreffend, meint Hall, dieses sei vor allem eine Mischung aus Gelegenheit und Vorbereitung. In erster Linie sei die viele Zeit, die er unter Wasser auf der Suche nach Tieren und Verhaltensweisen verbringe, entscheidend. Im Idealfall werde sein Material dann gesendet oder gedruckt. Die Wochen und Monate, die er an einer Szene, die einfach nicht zustande kommt, arbeite, sehe aber keiner. Das Pech, das genauso Bestandteil seiner Arbeit sei, bleibe natürlich unbemerkt. Dennoch gibt er gerne zu, daß er manchmal großes Glück gehabt hat. So gelangen ihm Aufnahmen einer spektakulären Jagdmethode der großen Tümmler, einer Delphinart, oder einer riesigen, bis dahin völlig unbekannten Qualle. Daß er das Freßverhalten von Blauwalen unter Wasser filmen konnte, noch dazu vor der eigenen Haustüre, verdankt Hall einer ganzen Reihe von glücklichen, an Wunder grenzenden Umständen: "Das erste Wunder war, daß wir überhaupt aufs Meer hinaus fuhren, denn eigentlich wollte ich damals gar nicht tauchen ... Daß wir um zehn Uhr morgens dann tatsächlich mehr als ein Dutzend Wale sichteten, war das zweite Wunder ... Nahe bei Coronado war die Oberfläche mit dunkelroten Flecken bedeckt. Als wir mit dem Boot näher herankamen, erkannten wir dichte Teppiche von Krill, der Nahrungsgrundlage der Wale ... Die Sicht stimmte auch, das war das dritte Wunder. Normalerweise sorgt in Gewässern, in denen Wale sich aufhalten, Plankton für schlechte Sichtverhältnisse, aber in meinen dreißig Jahren als Taucher in Südkalifornien hatte ich noch nie klareres Wasser betaucht als jetzt ... Und nun geschah das vierte Wunder: Ich trieb gerade an der Wasseroberfläche, als ich merkte, daß ich mitten unter die Wale geraten war und aufpassen mußte, nicht mitgefressen zu werden. Rasch schwamm ich vom Krill weg. Und dann drehte ich mich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie ein Blauwal den Krillball verschlang. Sofort schaltete ich die Kamera ein. Wunder Nummer fünf: sie funktionierte. Und das Motiv selbst war das sechste Mirakel: der Wal riß sein Maul auf, verschluckte den ganzen Krillschwarm und blickte dabei direkt in mein Objektiv ... Die bucklige Gestalt war fast so groß wie ein Heißluftballon, man hätte einen Geländewagen in ihrem Maul parken können."

Ich weiß nicht, was ich mehr loben soll, den Text oder die Bilder. Schönere, besser gedruckte Unterwasserbilder habe ich noch nicht gesehen.

OZEANE - KOSMOS VOLLER WUNDER Von Michele und Howard Hall Frederking & Thaler, München 1998 162 Seiten, 120 Farbfotos, geb., öS 569,

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