Ein Gerechter der Literatur

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Eine Ausstellung im Wiener Literaturhaus ermöglicht die Wiederbegegnung mit H(ans) G(ünther) Adler, einem Überlebenden des Holocaust.

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Eine Ausstellung im Wiener Literaturhaus ermöglicht die Wiederbegegnung mit H(ans) G(ünther) Adler, einem Überlebenden des Holocaust.

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Sein Werk und seine Existenz standen unter dem Zeichen des Unrechts, das diesem einflußreichen Wissenschaftler und schmählich unterschätzten Dichter zeitlebens zugefügt wurde. Damit ist nicht nur das Schicksal gemeint, das der deutschsprachige Prager Jude H. G. Adler mit Millionen teilte, die gleich ihm dem Rassenwahn der Nationalsozialisten ausgeliefert wurden.

Nein, Adler, dem Überlebenden des Holocaust, ist auch von der Nachwelt, die ihm so viele bedeutende Studien, über das Ghetto, die Funktionsweise von Konzentrationslagern, die condition humaine von Verfolgern und Verfolgten, verdankt, fortgesetztes Unrecht widerfahren. Denn vor allem anderen war H. G. Adler Lyriker und Erzähler, und ihn als eben diesen zur Kenntnis zu nehmen, hat sich die literarische Öffentlichkeit die längste Zeit geweigert.

Dieser Dichter galt für einen Gelehrten von großem moralischen Renomee, für einen Wissenschaftler, der mit seinen bahnbrechenden Arbeiten über Theresienstadt (1958) oder über den "verwalteten Menschen" - "Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland" - (1974) identifiziert wurde. Doch hatte er diese monumentalen, aus der Forschungsarbeit vieler Jahre entstandenen Werke einem Pflichtgefühl abgerungen, das ihn nötigte, seine besten Kräfte dem Angedenken der Ermordeten und der Aufklärung darüber, was an Babarischem mitten im zivilisierten Europa geschehen war, zu widmen. Sein Eigentliches aber dachte H. G. Adler in der Dichtung zu geben, nicht in der wissenschaftlichen Arbeit, die ihm der verheerende Verlauf der Geschichte aufgenötigt hatte.

Adler kam 1942 nach Theresienstadt. Und er berichtete später, daß er schon dort den "ersten Entschluß faßte, diese Lagerwelt, sollte mir das Wunder widerfahren, sie je überleben zu dürfen, großzügig und umfassend darzustellen." Viele Tausende Dokumente hat Adler aufgespürt, durchgesehen, interpretiert, zugänglich gemacht. Und doch hat er, der sich als "Zeugen" sah, selbst in Theresienstadt, von wo auch für ihn der Zug nach Auschwitz fuhr, Gedichte geschrieben. Sein "Theresienstädter Bilderbogen" ist freilich wie so vieles aus seinem literarischen Werk die längste Zeit unveröffentlicht geblieben; erst jetzt, 55 Jahre, nachdem er entstand, zehn Jahre nach dem Tod des Verfassers, ist der Zyklus publiziert worden, in einem klugen Auswahlband, der zu einer ersten Begegnung mit diesem Autor einlädt Der Tod aller Tode Es sind dokumentarische, geradezu soziologische Gedichte, die Adler in Theresienstadt schreibt, sucht er doch jeder Menschengruppe, die nach Theresienstadt kam, ein Denkmal zu errichten: den Alten, den greisen Frauen, den Kranken, den Hungernden, den Kindern, den Müttern ...

Der hohe Ton der Gedichte trotzt dem Elend, von dem sie sprechen, und selbst dort, wo der Dichter zu verzweifeln scheint, tut er es in gebändigter Sprache und mit sicherem Zugriff auf all die rhetorischen Mittel der abendländischen Tradition: "Das ist das Ende;/ Ich spür es deutlich,/ Über die schneidenden Zacken geworfen:/ Das ist der Tod, der Übertod,/ Der Tod aller Tode,/ Unaussterblich und nie zu durchsterben,/ Im blauen Ureis/ Durch die Unendlichkeiten gefroren,/ In Abgründen/ Überschichtet von letztem Vergessen."

Als Adler 1945 aus Langestein, einem Nebenlager von Buchenwald, befreit wird, sorgt er zunächst für die Betreuung von Kindern, die Auschwitz überlebt hatten, dann sucht er im Jüdischen Museum von Prag ein Archiv der Verfolgung aufzubauen. Doch ist er, der 1930 bei einer Volkszählung Deutsch als seine Muttersprache angegeben hat, in der Tschechoslowakei nicht mehr gerne gesehen; 1947 verläßt er die Stadt, in der er aufgewachsen ist, und emigriert nach England, wo er bis zu seinem Tod leben sollte, ohne London je als seine "Heimat" zu betrachten. Er hat England dankbar als Zuflucht gerühmt, in der es ihm möglich war, noch einmal eine Familie zu gründen und zurückgezogen an seinem Lebenswerk zu arbeiten, und doch zugleich bitter als ein Land charakterisiert, das ihn, den Versprengten der mitteleuropäischen Katastrophe, zwar aufgenommen, nicht aber angenommen hat: niemand in England, außer ein paar Emigranten, hätte sich je für ihn und seine Arbeit interessiert.

In den fünfziger und sechziger Jahren schreibt Adler seine großen historischen Studien, die um die Welt gehen; selbst Eichmann hat Adlers Theresienstadt-Buch, als er sich in Jerusalem auf seinen Prozeß vorbereitete, studiert. Während der "Theresienstadt-Adler", wie er es einmal nicht ohne Bitterkeit resümierte, zur Autorität wurde, ist der Erzähler und Lyriker Adler in der literarischen Öffentlichkeit niemals gebührend zur Kenntnis genommen worden.

Schon seinen ersten, soeben neu aufgelegten großen Roman "Eine Reise", in dem er auf geradezu rätselhaft ruhige Weise von Deportation und Entwurzelung erzählte, konnte er erst nach zwölfjähriger Verlagssuche veröffentlichen. Und bedeutende Prosaarbeiten konnten überhaupt erst aus dem Nachlaß ediert werden oder sind gar bis heute unveröffentlicht geblieben. Adler sprach in diesem Zusammenhang von einem schweren Versagen des Literaturbetriebs, von dem er sich im übrigen aber nicht davon abbringen ließ, unbeirrt vollständig ausgefeilte Romane und bis ins Detail durchkomponierte Sammlungen von Kurzprosa für spätere Zeiten in die Schublade zu legen; nicht viel besser erging es ihm als Lyriker, denn neben drei Bänden, die zwischen 1975 und 1980 erschienen, harrt jene von Adler für die Nachwelt zyklisch geordnete Sammlung seiner Gedichte in sieben Bänden noch immer eines Verlegers und der Entdeckung.

Durch die Schwärze In einem Gedicht hat Ilse Aichinger ihn einmal so porträtiert: "Die genaue Ahnung,/ das genaue Wissen,/ Schutz und Zuflucht./ Die Helligkeit beim Eintritt/ macht gewiß:/ Hier ist einer durch die Schwärze gegangen/ und bleibt."

Diesen Autor, der sich die Liebe zum Licht, den Glauben an die Aufklärung, die Überzeugung, daß die Kunst eine humanistische Sendung habe, auch in der finstersten Barbarei nicht austreiben ließ, verspätet doch noch zu entdecken, bietet sich jetzt günstige Gelegenheit: Eine Wiener Dissertation von Franz Hocheneder hat erstmals das gesamte veröffentlichte und unveröffentliche Werk Adlers bibliografisch erfaßt; nach dem von Adlers Sohn Jeremy kundig zusammengestellen Auswahlband "Der Wahrheit verpflichtet" ist "Eine Reise" wiederaufgelegt worden; und eine beeindruckende Ausstellung, die eben im Wiener Literaturhaus eröffnet wurde, ist den Freunden Franz Baermann Steiner, Elias Canetti und H. G. Adler gewidmet.

Im literarischen Betrieb der Eitelkeiten hat er nie um Aufnahme angesucht; jetzt gilt es H. G. Adler, einen Gerechten der Literatur und des Lebens, zu entdecken.

Hinweise: Der Wahrheit verpflichtet. Interviews, Gedichte, Essays, Bleicher-Verlag, Gerlingen 1998, 316 Seiten, öS 248,-/n 18,02. Eine Reise, Roman. Zsolnay Verlag, Wien 1999, 248 Seiten, öS 291,-/n 21,15. Ausstellung bis 18. Juni, Literaturhaus, 1070 Wien, Seidengasse 13

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