Ein großer Gralsgesang

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Wagners "Lohengrin" in einer Neuinszenierung der Wiener Staatsoper.

Kein Schwan, dafür 56 Takte Gralserzählung zusätzlich: Schon in den beiden markanten Charakteristika der Aufführung spiegelt sich das Resümee der Neuinszenierung von Richard Wagners "Lohengrin" an der Wiener Staatsoper - ein außerordentliches musikalisches Ereignis und eine Inszenierung, die Wesentliches schuldig bleibt. Wobei es komischerweise nicht um den Schwan selbst geht, der ja in der Musik gegenwärtig ist und hier für das Publikum unsichtbar über das Parkett zieht.

Doch zuerst zur Musik, deren Großartigkeit Semyon Bychkov mit ungeheurer Intensität und Raffinesse erstrahlen lässt. Vom feinsten Pianissimo bis zum glänzendsten Fortissimo entfaltet das Staatsopernorchester, vulgo Wiener Philharmoniker, eine Klangpracht, wie sie selten zu hören ist. Wenn Begriffe wie Verklärung und Erhabenheit einen Sinn haben, so findet sich dieser in den vom russischen Dirigenten aus einem großartigen Klangkörper geformten Klängen.

Musikalische Wonnen ...

Geradezu überirdisch ist auch Johan Botha als Gralsritter Lohengrin. Scheinbar mühelos meistert er die extrem schwierige Partie, insbesondere die Urfassung der berühmten Gralserzählung, deren zweiten Teil Wagner selbst kurz vor der Uraufführung gestrichen hatte. Den vom Komponisten befürchteten "erkältenden Eindruck" ließ der begnadete Südafrikaner bei seinem Vortrag in keinster Weise aufkommen, die in "Lohengrin" beschworenen Wonnen - hier wallen sie. Mit dieser grandiosen Leistung sichert sich Botha endgültig seinen Platz in der Opernsänger Olymp, pardon: Asgard.

... und Missgriff der Regie

Seine Kollegen freilich stehen ihm an Klasse kaum nach, beginnend bei Adrian Eröd, der aus dem Heerrufer weit mehr herausholt, als dieser kleine Partie normalerweise zusteht. Auch Kwangchul Youn verleiht seinem König Heinrich mehr stimmliches Gewicht als üblich. Großartig Falk Struckmann und Janina Baechle, er als an übersteigertem Ehrgeiz und blinder Liebe gescheiterter Telramund, sie als diabolische und hasserfüllte Ortrud, die beide mit großer stimmlicher und darstellerischer Gestaltungskraft in menschliche Abgründe blicken lassen. Wenn man unbedingt herummeckern will, dann vielleicht an Soile Isokoski, die als Elsa an manchen Stellen die notwendige Stärke vermissen lässt. Geschenkt ... Herauszuheben ist jedenfalls der von Ernst Dunshirn hervorragend eingestimmte Chor, der dem von Gott gesandten Ritter bisweilen bedrohlich auf die Pelle rückt. Womit wir bei der Inszenierung wären.

Positiv formuliert: Barrie Kosky lässt mit seiner stark stilisierten, in einem kargen Heute angesiedelten Regie viel Raum für Interpretationen durch den Zuschauer. Negativ ausgedrückt: Kosky ist nicht viel zu "Lohengrin", bekanntlich eine harte Nuss für Regisseure, eingefallen. Gut, Elsa ist blind, was vielleicht die Voraussetzung dafür ist, dass sie den Heilsbringer als erste sieht und somit herbeiruft. Aber was mit Lohengrin und Elsa, diesen beiden hehren, rechten, reinen Figuren gemeint sein könnte, lässt er im Unklaren. Omnipräsent ist hingegen der Knabe Gottfried, dessen überdimensionales Spielzeug auf der Bühne herumliegt. Doch wenn dieser Erbe von Brabant am Ende - optisch durchaus eindrucksvoll - als in einen Tropfen eingeschlossener Embryo herabschwebt, fragt man sich: Wie könnte das bloß gemeint sein?

Bis in den zweiten Akt hinein gelingt es Kosky, die Geschichte durchaus packend zu erzählen, doch mit seinem größten Fehlgriff kommt er aus dem Tritt: Elsa nämlich wird von seltsamen, überhaupt nicht zum Rest der Aufführung passenden Vogelwesen zur Kirche geleitet. Völlig unangebrachte "Zauberflöte"-Assioziationen tun sich auf - die ersten Vorboten des Mozart-Jahres?

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