Ein Häuschen im Grünen ...

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Die Menschen tun es, um sich den Traum vom Haus mit Garten zu erfüllen; die Betriebe tun es, um sich nach Lust und Laune auszubreiten und mit Parkplätzen zu punkten: Sie alle verlassen die Stadtzentren, siedeln sich im Umland an und bilden dort einen stetig wachsenden "Speckgürtel". Die Folgen: verödende Stadtkerne, Zersiedelung, zunehmender Pendel- verkehr. Raumplanern ist dieses Phänomen der Suburbanisierung längst ein Dorn im Auge: Sie fordern von der (Regional-)Politik Maßnahmen. Bis dato weitgehend vergeblich. Redaktion: Doris Helmberger Der "Speckgürtel" ist kein unergründliches Phänomen und ebenso wenig ein evolutionärer Entwicklungsschritt der abendländischen Stadt. Eine Analyse der Ursachen und Hintergründe der Suburbanisierung.

Die weit verbreitete Stadtflucht ist den Österreichern nicht zu verübeln: Die dicht bebauten Zentren - geprägt von den Abgasen und dem Lärm des ungezügelten Autoverkehrs, von Parkplätzen statt öffentlichen Räumen und allgemein kinderfeindlichen Bedingungen - bieten insbesondere jungen Familien seit Jahrzehnten schon zu wenig Lebensqualität. Dazu kommt ein sozialer - und dennoch teurer - Wohnbau "von der Stange", der in mancher Hinsicht auf dem Niveau der 70er Jahre stehen geblieben ist - ja bezüglich Belichtung und Besonnung, Freiflächengestaltung und Gemeinschaftseinrichtungen sogar hinter diese Standards zurückfällt. Das Häuschen mit eigenem Garten, und sei es aus dem Fertigteilkatalog, wird so zum Wunschtraum vieler Städter.

Konzeptlose Politik

Auch die Landflucht aus den agrarisch geprägten Gebieten Österreichs hat ihre handfesten Gründe: Eine verfehlte Regionalpolitik förderte ab den 60er Jahren das Auspendeln der Bewohner kleinerer Gemeinden in die großen Ballungsräume. Statt die peripheren Wirtschaftsstandorte zu stärken und zu modernisieren, baute der Staat schnelle Straßen in die entferntesten Gegenden, damit sich die ländliche Bevölkerung den Industrie- und Handelszentren selbst zuliefern konnte. Als die Arbeitskräfte endgültig in die Städte abgewandert waren, war es nur noch eine Frage der Zeit, dass auch die Kaufkraft sowie alle sozialen und kulturellen Funktionen aus den Dörfern verschwanden. Viele der "Migranten" zog es dabei nicht in die Stadtzentren, sondern in die Umlandgemeinden, wo zumindest dorfähnliche Wohn- und Lebensformen herrschen.

Dass die so entstandene Suburbanisierung einen Schaden für Städte und Dörfer, für Landschaft und Umwelt bedeutet, wird mittlerweile allgemein anerkannt und bedauert: Der so genannte "Speckgürtel" frisst wertvollen Boden in den Grün- und Erholungsgebieten des Stadtumlands auf. Der "Speckgürtel" nutzt die soziale und kulturelle Infrastruktur der Stadtzentren, entzieht ihnen aber gleichzeitig wichtige Steuereinnahmen. Der Speckgürtel ist eine ökologische Katastrophe, da eine energieeffiziente Erschließung - ob durch öffentliche Verkehrsmittel, ob durch Fernwärme - kaum möglich ist. Der Speckgürtel steht für tägliche Autokolonnen zwischen den Wohn-, Arbeits-, Einkaufs- und Freizeitstandorten der Ballungsräume. Trotzdem verschließt die Politik ihre Augen gegenüber den Mechanismen, die ein weiteres Anwachsen des Speckgürtels geradezu fördern.

So verfügen Gemeinden in Österreich im Wesentlichen nur über zwei Geldquellen: zum einen die Steuereinnahmen von ortsansässigen Betrieben - und zum anderen der alljährliche Finanzausgleich, im Rahmen dessen die Bundesregierung den Ländern und Kommunen, abhängig von ihrer Einwohnerzahl, Steuergelder zuteilt. Dementsprechend ist jede Gemeinde bemüht, zum einen möglichst viele Unternehmen auf ihrem Gebiet anzusiedeln, und zum anderen die Bevölkerungszahl stetig zu vergrößern. Beides führt zu einer zügellosen Widmung von Bauland - unabhängig von den tatsächlichen Standortqualitäten einer Gemeinde -, um nur ja genügend verfügbare und günstige Grundstücke für neue Investoren und Bürger bereitstellen zu können. In diesem Wettlauf der Kommunen siegt zwangsläufig der Speckgürtel. Denn für entlegene Gemeinden werden sich kaum Betriebe interessieren - stadtnahe Gemeinden mit direktem Autobahnanschluss hingegen haben gute Aussichten, Unternehmen für sich zu gewinnen. Und die Häuslbauer lassen sich auch am liebsten dort nieder, wo das Jobangebot am besten ist.

Zersiedelte Landschaft

Je größer das Baulandangebot infolge der interkommunalen Konkurrenz ist, um so größer ist auch die Zersiedlung der Landschaft: Fast überall in Europa sind die Siedlungen kompakter und geschlossener als in Österreich - sogar im noch automobileren Deutschland, wo die Flächenwidmungsplanung von den Landkreisen betrieben wird, anstatt wie hier zu Lande von oftmals überforderten Bürgermeistern. Diese scheinen auch wenig Verantwortung für die volkswirtschaftlichen Kosten ihrer Siedlungspolitik zu kennen. Die Fläche von 6,6 Hektar oder sechs Fußballfeldern, die

in Österreich tagtäglich für Bauland - vorwiegend im Umland der Städte - in Anspruch genommen wird, muss von der öffentlichen Hand auch erschlossen werden: durch Straßen, Trinkwasserleitungen, Kanalisation, Gas und Strom. So lange die Errichtungs- und Erhaltungskosten dieser Infrastruktur mehrheitlich auf alle Bürger verteilt werden, besteht für den Einzelnen keine Veranlassung, auf das Bauen in Streusiedlungen zu verzichten.

Dieselben nachteiligen Effekte gehen von der Gleichverteilung der staatlichen Wohnbauförderung aus - unabhängig von raumplanerischen Kriterien. Zwar wird die Unterstützung von Bauwerbern in einigen Bundesländern seit kurzem nach der Energieeffizienz des Gebäudes gestaffelt: Der Einbau alternativer Heizsysteme oder die Errichtung von Niedrigenergiehäusern erhöhen mittlerweile die Fördersumme.

Völlig irrelevant ist in Österreich aber nach wie vor, ob ein Gebäude auf 500 oder 1.000 Quadratmetern Grundfläche steht, ob es im Verbund mit anderen Häusern oder fernab bestehender Siedlungskerne errichtet wird, ob der Standort von öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen oder auf das Auto angewiesen ist.

Umverteilung nach oben

Als ebenso kontraproduktiv erweist sich die staatliche Pendlerpauschale, die all jene belohnt, die nicht am Arbeitsort wohnen wollen, sondern sich für den täglichen Weg ins Büro lieber ins Auto setzen. In den 50er und 60er Jahren mag diese Vergünstigung noch ihre sozialpolitische Relevanz gehabt haben. Heute kommt sie großteils aber nicht mehr den Nebenerwerbsbauern aus dem nördlichen Waldviertel oder der Südsteiermark zu Gute, sondern den wohlhabenden Haushalten in den Siedelungsgebieten im Stadtumland. Mödling ist der reichste politische Bezirk Österreichs - und hat gleichzeitig den höchsten Pendleranteil. Der aktuelle Regierungsbeschluss zur weiteren Erhöhung der Pendlerpauschale bedeutet also eine weitere Umverteilung von unten nach oben - und eine aktive Förderung der Suburbanisierung. So wie die fehlende Kostenwahrheit in der heimischen Verkehrspolitik stellt auch jede neue Straße, die die Erreichbarkeit der Suburbs verbessert, eine weitere Attraktivierung des Speckgürtels dar.

Drive-in-Nahversorger

Ebenso Bestandteil des Suburbanisierungsprozesses sind die peripheren Einkaufszentren und Fachmärkte, die die gewachsenen Handelsstrukturen über Jahrzehnte ruinierten - und heute als Drive-in-Nahversorger für die Bewohner der Suburbs dienen. Die Shopping Center wurden und werden nach wie vor von der Politik geduldet, ja sogar forciert - sei es durch kostenlos zur Verfügung gestellte Grundstücke, sei es durch eigens errichtete Autobahnabfahrten und Zufahrtsstraßen zu Lasten der öffentlichen Hand.

Ähnlich zu bewerten sind die vielfach subventionierten Betriebsansiedlungen auf der "grünen Wiese" anstatt auf den rapide zunehmenden Brachflächen innerhalb der Städte. Die Länder und Kommunen könnten ihre Wirtschaftsförderungen genauso zur Sanierung alter Industriegebiete oder zur Entwicklung aufgelassener Bahnhofsflächen verwenden - und gleichzeitig das Angebot an peripheren Gewerbegebieten knapp halten, fördern aber lieber den Speckgürtel. Diese und noch andere Zusammenhänge machen deutlich, dass sich an der aktuellen Siedlungsentwicklung Österreichs trotz allen Lamentierens wenig ändern wird, solange die politischen Entscheidungsträger nicht dazu bereit sind, die vielfältigen Zwänge und Anreize zur Suburbanisierung zu beseitigen.

Der Autor ist

Raumplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

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