Ein "Haus des Nichtvergessens"?

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Typisch österreichisch: Politik im Zentrum, Vergangenheitsbewältigung abgedrängt.

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Typisch österreichisch: Politik im Zentrum, Vergangenheitsbewältigung abgedrängt.

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Die Absiedlung niederösterreichischer Einrichtungen aus Wien hat Folgen. Gebäude werden geräumt, über ihre künftige Bestimmung sind heiße Debatten entbrannt. Als bekannt wurde, daß der Wiener Stadtschulrat im Jahr 2000 in die Wipplingerstraße wechselt, wo bis dahin die niederösterreichische Schulbehörde sitzt, rissen sich plötzlich viele um sein bisheriges Gebäude, das Palais Epstein an der Wiener Ringstraße.

Dieses Haus, zwischen Parlament und Naturhistorischem Museum zentral gelegen, in unmittelbarer Nähe zu Hofburg, Justizpalast, Rathaus, Burg- und Volkstheater, spiegelt wie kaum ein anderer Bau Österreichs Geschichte der letzten hundert Jahre. Von einem jüdischen Bankier errichtet, in der Ersten Republik bereits Sitz des Stadtschulrates, dann des NS-Reichsbauamtes, dann des russischen Stadtkommandanten, zuletzt wieder des Stadtschulrates, erscheint das im Besitz der Republik befindliche Palais vielen, allen voran Leon Zelman, dem Chef des Wiener Jewish Welcome Service, optimal für ein "Haus der Geschichte" oder "Haus der Toleranz" geeignet, das Themen der Zeitgeschichte aufarbeitet. Unterstützung fand er auch beim amtierenden Stadtschulratspräsidenten Kurt Scholz, der eindringlich darauf hinwies, daß sich unmittelbar um dieses Haus Schlüsselszenen der Republik Österreich abspielten.

Der Plan eines solchen Hauses möge durchaus weiterverfolgt werden, befand im November 1998 der Ministerrat, entschied aber, das Palais Epstein solle in Zukunft vom Parlament, das akuten Platzbedarf habe, genutzt werden. Schon vorher hatten in der "Präsidiale" die Nationalratspräsidenten und die Klubobleute aller Parlamentsfraktionen ins gleiche Horn gestoßen. Denn das alte niederösterreichische Landhaus in der Herrengasse, das sogar mehr Platz böte, ist den Mandataren zu entlegen. Und wenn sich Politiker so massiv einschalten, sitzen sie halt auf dem längeren Ast.

Seither hat man andere Standorte, vom Palais Rasumofsky im 3. bis zu den Augarten-Flaktürmen im 2. Bezirk, ins Spiel gebracht, was manche als typisch österreichisches Abdrängen der unbewältigten Vergangenheit aus dem Zentrum deuten. Auch ein Neubau im neuen Museumsquartier wurde vorgeschlagen. Im Auftrag des Wissenschaftsressorts, dessen Leiter Caspar Einem stets den Standort Palais Epstein bevorzugte, arbeitet nun Anton Pelinka, Innsbrucker Ordinarius für Politikwissenschaft, mit einem Team an einer Machbarkeitsstudie für ein solches Haus, das noch keinen Ort und noch keinen genauen Namen hat. Sie soll Ende Mai fertig sein.

Für die Studie werden alle an der Materie Interessierten, vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes bis zum Heeresgeschichtlichen Museum und dessen Direktor Manfried Rauchensteiner (siehe Furche 39/1998), vom ÖVP-Historiker Peter Diem bis zum Zeitgeschichtler Stephan Karner interviewt, versichert Pelinka. Auch zur Israelitischen Kultusgemeinde besteht enger Kontakt, denn deren Wunsch nach einem Holocaust-Museum soll, so Pelinka, in das Projekt einbezogen werden: "Ohne Holocaust geht es nicht, und zwei Holocaust-bezogene Zentren in Wien sind auch nicht sinnvoll." Auch für Pelinka wäre das Palais Epstein nach wie vor der ideale Standort.

Die Würfel scheinen zwar gefallen, doch wenn man ehrlichen Herzens ein solches "Haus des Nichtvergessens", um einen neuen Titel ins Gespräch einzubringen, haben will, dann sollte die endgültige Entscheidung darüber, wo es stehen und was es präsentieren soll, bis zum Vorliegen der Studie und einer eingehenden Diskussion darüber offen bleiben.

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