Bernhard - © Foto: Monozigote

Ein heiterer Miesepeter mit und ohne Sprengkraft

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Eine Neuinszenierung und eine Ausstellung verweisen auf Thomas Bernhards Beziehung zu den Salzburger Festspielen, die von Erfolg und Zerwürfnis geprägt war.

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Eine Neuinszenierung und eine Ausstellung verweisen auf Thomas Bernhards Beziehung zu den Salzburger Festspielen, die von Erfolg und Zerwürfnis geprägt war.

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Sie sind so verkrallt ineinander wie Wladimir und Estragon in Becketts "Warten auf Godot", wie Stan und Ollie oder Bernhard und Peymann. Sie können ohne einander nicht sein, sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, ja, einander ausgeliefert: der blinde Vater und seine Tochter, der Arzt und der blinde Vater, die Sängerin und Frau Vargo, der Arzt und die Sängerin. Zwei Menschen, schon entsteht eine Machtgeschichte.

Wir sind in "Der Ignorant und der Wahnsinnige", in der Thomas-Bernhard-Welt, wo Menschen nun einmal dazu da sind, einander kaputt zu machen. Sie brauchen keine Waffen, es gelingt ihnen mit Worten oder Schweigen. Der Arzt redet den Vater der Sängerin in Grund und Boden. Er behelligt ihn mit Seziervorschlägen von Gehirn, Bauchraum und Genital, schwelgt in Verwunderung für die Sängerin und inszeniert sich als Intellektueller von Rang. Die Sängerin hält ihren Vater auf Distanz und der leidet. Sie kommandiert Frau Vargo, zur Domestikin im Künstlerzimmer degradiert, schroff herum. Jemand schafft an, ein anderer pariert. Das ist die große Gesellschaft anschaulich auf Kleinformat gebracht.

Eine Posse der Macht

Für Schauspieler ist aus dieser Konstellation viel herauszuholen. Sven-Eric Bechtolf nimmt als Arzt die atemberaubenden Monologe auf sich und bewährt sich dabei grandios. Christian Grashof als Vater lässt er daneben gar nicht recht aufkommen. Annett Renneberg gibt die Königin der Nacht als kapriziertes Wesen, damit jeder sofort sieht, wer hier Dominanzanspruch erheben darf. Der Arzt hat das Sagen, die Königin herrscht. Zwischen Auftrumpfen und Dulden lässt Thomas Bernhard keine Schattierungen zu. Das Piesacken ist des verkleinbürgerten Grobians Lust, der Duckmäuser folgt ihm gerne untertänigst.

Es ist zu befürchten, dass Bernhards Dramen mit einem Ablaufdatum versehen sind. Sie schnurren heute so munter vor sich hin, dass von der Aufregung, die sie zu seinen Lebzeiten verursacht haben, nichts übrig geblieben ist. Aber war nicht schon immer der Skandal bei Bernhard ein gesuchter, ein lustvoll herbeigesehnter? In der Ausstellung "Dichter bei den Festspielen" im Salzburger Literaturarchiv ist zu sehen, wie Bernhard und Peter Handke ihr Verhältnis zu den Salzburger Festspielen gestalteten.

Dem Stück "Der Ignorant und der Wahnsinnige" hat bei der Uraufführung 1972 der "Salzburger Notlichtskandal" den Rang abgelaufen. Weil aus Sicherheitsgründen das Notlicht am Ende nicht ausgeschaltet werden durfte, um vollkommene Finsternis herzustellen, geriet der leicht entzündbare Autor derart in Rage, dass das Stück über die Premiere nicht hinauskam. Die Reaktion wirkt kindisch, aber steckt nicht eigentlich etwas ganz anderes hinter der vordergründigen Groteske? Bernhard, der Theatermacher, verlängert die Bühnenwirklichkeit kurzerhand in seine eigene Alltagswirklichkeit. Er inszeniert ein Stück mit Menschen aus seinem unmittelbaren Umfeld, führt eine Posse der Macht auf, in der er die Hauptrolle spielt. Peymann wird zum willigen Gehilfen des gereizten Polterers, der sich ins Fäustchen lacht, weil er es denen da oben, dem Festspielpräsidenten vor allem, so richtig reinsagen durfte. Und Peymann verteidigt die Kunst, wie es einem Regisseur nun einmal ansteht, wenn ein Stück verhindert werden soll. Seiner Wichtigkeit ist er sich sofort bewusst, ohne zu ahnen, dass er gerade den Frosch in einer Operette abgibt.

Elegant, musikalisch getaktet

Heute ist Gelassenheit angesagt. Gewiss haben wir unsere Einstellung zu Bernhard geändert, indem wir nicht mehr so sehr den finsteren Propheten des Untergangs in ihm sehen, der Welt, Menschen und menschliches Streben überhaupt mies macht, sondern einen Finsterling, der sich ständig das Lachen verbeißt, weil er so schlimm es auch wieder nicht gemeint hat. Er zieht heftig vom Leder, macht das aber auf derart elegante, musikalisch getaktete Weise, dass Sprachmelodie und Rhythmus eine eigene aufregende Geschichte ergeben. Dabei lässt Bernhard nichts unversucht, sein Publikum mit leichten Lachern auf seine Seite zu ziehen. Was ist vom Dirigenten zu halten, der heute "Die Zauberflöte" leitet? Wie ein Fleischhauer geht er vor. Man sieht, der große Bernhard ist sich nicht zu schade, die Zuseher mit ziemlich plumper, boulevardtauglicher Heiterkeit bei Laune zu halten. Das Stück ist sehr genau gearbeitet, sprachlich und dramaturgisch sorgfältig auf Linie gebracht und voll mit Provokationen, die nach vielen Jahren ihre Sprengkraft deutlich verloren haben. Es zündelt einer, zum Großbrand will das kleine Flämmchen sich aber nicht entschließen. Heute sehen wir, wie sehr Bernhard die Erregungsstrategie zur Masche geworden ist, wie vorhersehbar er Hiebe austeilt, die von dem Rabauken, als der er sich inszenierte, im Lauf der Zeit erwartet wurden. Ein Bernhard-Stück fordert Verletzungen unter wechselnden Berufstätigen. Dieser Humor funktioniert nach dem wenig anspruchsvollen Prinzip Schadenfreude.

Erzähler und Versehrten-Literat

Im Umfeld des Stückes kam es auch zu Lesungen von Prosaarbeiten Thomas Bernhards. Tobias Moretti arbeitete sich vorbildlich durch die langen, verschachtelten Satzperioden der frühen Erzählung "Das Verbrechen eines Innsbrucker Kaufmannssohns" von 1965, das noch einen Autor im Werden zeigt. Schon haben wir den Versehrten-Literaten, der an einem körperlich Gebrochenen gleich eine ganze kaputte Gesellschaft herausstellt. Vom Witz, der später das Grauen unterlaufen wird, ist er hier noch weit entfernt. Die Welt ist düster, also hat es der Text gefälligst auch zu sein. In der Erzählung "Goethe schtirbt", 1982 erstmals erschienen, hat sich Bernhard auf Ironie schon eingeschworen. Nichts sehnlicher wünscht sich der greise Goethe, als dass er vor seinem Tod den einzigen legitimen Nachfolger seines geistigen Erbes sehen darf, Ludwig Wittgenstein. Das ist so haarsträubend gegen jede Vernunft ersonnen, dass man nie in Verlegenheit gerät, diese reine Kopfwirklichkeit, eine Spezialität Bernhards, für bare Münze zu nehmen. Hier schreibt schon das Gehör mit, was Tobias Moretti in seinem Vortrag bewusst zu machen verstand. Von hier kommt die Suggestivkraft des Bernhard'schen Werkes, dass es sich über musikalische Strukturen als Einschleichdieb in unser Bewusstsein vorarbeitet, wo es sich festsetzt und nicht mehr herauszubekommen ist.

Der Ignorant und der Wahnsinnige

Salzb. Landestheater, 24., 26., 27.8.

Dichter bei den Festspielen

bis 31.8., Literaturarchiv Salzburg Mo bis Fr 10-17 Uhr, Sa 13-18 Uhr www.uni-salzburg.at

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