Ein heutiges Märchen vom Auf und Ab des Lebens

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Einmal mehr haben die Bregenzer Festspiele neben dem spektakulären Spiel auf dem See (siehe unten) mit der zeitgenössischen Oper im Festspielhaus einen Erfolg gelandet: heuer mit Judith Weirs "Achterbahn“.

Mut bewiesen haben die Bregenzer Festspiele schon in den vergangenen Jahren, indem sie im Festspielhaus, in Kontrast zu populären Werken auf der Seebühne, immer wieder Opernraritäten dem Archivschlaf entrissen haben. In diesem Jahr ist man noch einen Schritt weitergegangen und hat eine Reihe mit Auftragswerken begonnen - mit der Uraufführung der Oper "Achterbahn“ ("Miss Fortune“). Text und Musik stammen von Judith Weir, die als eine der interessantesten Komponistinnen gilt, die Großbritannien in den letzten Jahren hervorgebracht hat. 1985 hatte ihre erste Bühnenarbeit "Die schwarze Spinne“ Premiere; in Folge schrieb sie weitere Opern, aber auch Werke für Orchester und Kammerensemble. Viele von Weirs Opern basieren auf Märchenstoffen, denn - wie sie in Interviews betont hat - gehört ihre Leidenschaft dem Geschichten erzählen.

Fassliche Klangwirkungen

Dies merkt man auch ihrer neuesten Arbeit für die Bühne an: "Achterbahn“ basiert auf dem italienischen Volksmärchen "Sfortuna“. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau aus plötzlich verarmtem, ehemals reichem Haus, die beschließt, sich selbst den Lebensunterhalt zu verdienen. Doch jedes Mal, wenn sich ihr Leben zu bessern scheint, schlägt das Unglück erneut zu. Bis die Frau schließlich die Bekanntschaft mit ihrem personifizierten, eigenen Schicksal macht, worauf sich ihr Leben doch zum Guten wendet. Judith Weir hat diese Geschichte ins 21. Jahrhundert als aktuelles Gleichnis über das Auf und Ab des Lebens versetzt: Tina, der jungen Frau, begegnet man in einer Kleiderfabrik, in einem Dönerwagen und in einer Wäscherei, bis sie schließlich einen Lottogewinn erzielt, diesen aber nicht für sich in Anspruch nimmt, sondern den Mitmenschen schenkt, während sie selbst mit einem jungen Mann in eine ungewisse Zukunft entschwindet. Eine simpel naiv klingende Geschichte, aber Hand aufs Herz - gibt es nicht unter den Klassikern der Opernliteratur in Sachen Handlung Substanzärmeres? Was die Oper auszeichnet, ist eine in der Instrumentierung und der Behandlung der Singstimmen farben- und facettenreiche, vielschichtige Musik, die gekonnt mit Konsonanz und Dissonanz spielt und die "schöne“ Melodie nicht scheut - eine Musik mit fasslichen Klangwirkungen, die auch ein mit dem zeitgenössischen Opernschaffen unerfahrenes Publikum direkt erreichen kann, weil sie nie vordergründig konstruiert wirkt.

Das klangfarbliche Spiel der Musik wurde in Bregenz hervorragend von der Lichtgestaltung von Scott Zielinski, samt berückenden Videoinstallationen von Leigh Sachwitz und flora&faunavisions, aufgegriffen - auf der sparsam ausgestatteten Bühne wurden mit zwei immer neu zueinander arrangierten trapezförmigen Elementen (wozu noch Wasch- und Nähmaschinen sowie ein ausbrennender Dönerwagen kommen) bemerkenswerte Bildwirkungen erzielt. In diesem Ambiente (Bühne: Tom Pye, Kostüme: Han Feng) hatte Chen Shi-Zheng geradlinig, mit nur wenigen Leerläufen inszeniert. Die Musik von Judith Weir wurde von den Wiener Symphonikern unter Paul Daniel mit sinnlicher Klangentfaltung versiert zu bestem Klingen gebracht, der Orchesteruntergrund gab vor allem den Stimmen die Möglichkeit, sich wunderbar zu entfalten.

2013: HK Gruber vertont Horváth

An der Spitze des Ensembles stand Emma Bell als hervorragende Tina und in der Rolle ihres personifizierten Schicksals (Fate) Andrew Watts mit natürlich klingendem, souveränem Contratenor. Die enervierten Eltern von Tina waren mit dem gutturalen, aber voluminösen Alan Ewing und der etwas keifenden Kathryn Harries adäquat besetzt. Schöne Stimmen mit Ausdrucksvermögen ließen Noah Stewart als Hassan und Jacques Imbrailo als Simon erklingen, während Anne-Marie Owens mit ihrem zwar nicht sehr durchschlagskräftigen, aber interessant timbrierten Mezzo der Wäscherei-Besitzerin Donna eine geheimnisvolle Aura verlieh.

Das Publikum hat die neue Oper mit großem Beifall aufgenommen; für das nächste Jahr ist im Festspielhaus eine Uraufführung von Detlev Glanert ("Solaris“) geplant und für 2013 eine Opernfassung von "Geschichten aus dem Wienerwald“, komponiert von HK Gruber.

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